Die Beutefrau
angebunden.
Gerswind nickte. »Sie hat mich in Prüm dazu bestallt. Weil ich ihr im dortigen Genitium Gewänder angefertigt hatte, die dann aber auf dem beschwerlichen Weg zu ihr Schaden genommen haben. Natürlich keinen Schaden, der vergleichbar mit dem ist, der entstehen wird, wenn ich meine Arbeit in dem mir zugewiesenen Stall in Gegenwart neidischer Mägde vornehmen muß. Ich weiß wirklich nicht, wie ich verhindern kann, daß Ziegenkot auf den Saum gerät, oder wie ich die Stoffe vor dem Los meines eigenen Gewands bewahren kann.« Vielsagend blickte sie an sich hinunter. »Aber das ist natürlich nicht meine Sorge.«
Teles entwich ein seltsames Prusten. Ehrerbietig wandte sich der Hofmeister ihm zu: »Ja bitte, Referendarius?«
»Linde will damit sagen«, sagte Teles, nachdem er sich eine Träne aus dem Auge gewischt hatte, »daß sie als Tochter meines guten alten Freundes Graf Wicco nicht daran gewöhnt ist, wie eine Magd behandelt zu werden.«
Gerswind sah ihn verblüfft an.
»Die Tochter des Grafen Wicco?« fragte der Hofmeister alarmiert. Er hatte zwar noch nie von einem Grafen dieses Namens gehört, aber das Mädchen kam ja auch aus dem entlegenen Prüm. Wo der Referendarius der einstigen Königin Bertrada lange gelebt und bestimmt jede Menge edler Freunde gehabt hatte. Der Diener war inzwischen klammheimlich davongeschlichen. Er hoffte, daß sich das Mädchen nicht mehr an sein Gesicht erinnern würde.
»Ihr Vater ist verarmt gestorben«, spann Teles die Geschichte weiter, »nach einem sächsischen Überfall.« Gerswind stieß ihn sacht in die Seite. »Vielleicht war es auch beim Langobardenkrieg oder beim Zug gegen die Awaren, das weiß ich nicht mehr so genau, aber ich freue mich, daß seine Tochter um mich sein kann, und verlange, daß man ihr eine Arbeitsstube in meiner Nähe zuweist.«
»Selbstverständlich«, trompetete der Hofmeister. »Ich werde augenblicklich alles veranlassen. Bitte folgt mir«, wandte er sich mit einer leichten Verbeugung an Gerswind und ging ihr durch den schmalen Gang voran.
Da Teles nicht mehr gut zu Fuß war, hatte er ein winziges Zimmer im Erdgeschoß des Wohnturms bezogen. Der Hofmeister stieß die Tür eines daneben liegenden Raums auf, dessen Boden mit Zuckerrüben bedeckt war.
»Wir können diese Kammer entsprechend einrichten«, sagte er an Gerswind gewandt. »Was benötigt Ihr, Gräfin?«
Gerswind sah sich beglückt in dem Raum um, der sogar über einen schmalen Fensterspalt verfügte.
Sie reichte ihm die Hand. »Ich heiße Linde«, erklärte sie. »Wer kein Land mehr besitzt, ist nicht edel zu nennen.« Und dann zählte sie ihm auf, was sie benötigte.
Wenige Stunden später zog sie in ihr eigenes kleines Reich ein. Sie hatte kurz darüber nachgedacht, den Hofmeister über die Zustände in der Lehmhüttenwerkstatt aufzuklären und die Bestrafung ihrer Peinigerin zu verlangen, ließ diesen Gedanken aber schnell fallen. Aus ihrer Zeit am Hof wußte sie noch, daß die Lebensumstände des Gesindes gleichgültig waren, solange es die aufgetragenen Arbeiten ordentlich verrichtete. Also beschloß sie, sich von den Lehmhüten fernzuhalten und den Vorfall so schnell wie möglich zu vergessen.
Sie verbrachte die halbe Nacht im Gespräch mit Teles. Über das Schicksal ihrer Mutter konnte er ihr nichts Näheres sagen, da Widukind ihm nur mitgeteilt hatte, daß sie nicht mehr bei ihm weile. Das konnte alles mögliche bedeuten. Mit ihrem Vater stand er weiterhin in Verbindung, auch wenn sie nur alle paar Monate Botschaften austauschten. Sie erfuhr, daß er ein Kloster in Westfalen gegründet hatte, in dem er bekehrte Sachsen aufnahm, mit denen er ein gottesfürchtiges Leben führte.
»Weiß das der König?« fragte Gerswind atemlos.
Teles nickte. »Er weiß auch, daß dein Vater von den aufständischen Sachsenstämmen als Verräter betrachtet wird. Damals wußte er das nicht, da warst du wirklich in höchster Gefahr, aber ich glaube nicht, daß dir heute noch Böses von ihm droht. Der König hat dich schließlich immer liebgehabt.«
»Dann könnte ich mich ihm ja zu erkennen geben!« rief Gerswind aufgeregt.
Teles wiegte das Haupt.
»Lieber nicht, Gerswind. Die Königin war dir nie gewogen, und sie übt großen Einfluß auf ihn aus. Viel zu großen«, setzte er seufzend hinzu.
»Die Königin hat mich hergeholt!«
»Ja, das ist absonderlich, nicht wahr?«
Da sich die Königskinder meistens in den oberen Geschossen des Wohnturms aufhielten und bei Ausflügen
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