Die Beutefrau
verhört.«
Hruodhaid gefiel der Gedanke überhaupt nicht, daß mit ihrem Gehör möglicherweise auch etwas nicht stimmen sollte, also gab sie gut acht, als bei der Abendtafel das freudige Ereignis gefeiert wurde. Rotrud saß neben Rorico, Berta neben Angilbert, und auf Karls Knien hockte Madelgard, die hübsche Tochter des Seneschalls.
Karl hob den Becher und trank auf das Wohl von Arnulf, dem Stammhalter, und auf das seiner Zwillingsschwester.
»Chalpaida«, brachte Hruodhaid fehlerlos hervor.
Staunend blickte Karl zu seiner Tochter. »Sag das noch einmal!«
»Ch… Ch… Chalp…« Hruodhaid gab auf.
»Alpais!« krähte Fastradas Tochter, die siebenjährige Hiltrud.
»Ich habe meine Tochter Rotrud und nicht Chrotrud und meinen Sohn Ludwig und nicht Chlodwig genannt«, sagte Karl, »und deshalb heißt seine Tochter auch Alpais statt Chalpaida. Die neue Zeit, in der unser Reich über die alten Grenzen des Frankenlandes weit hinausgeht, erfordert neue Namen, die auch die Menschen im Gebiet der lingua romana aussprechen können.« Er blickte streng in die Runde. »Aber dieses Entgegenkommen betrifft nur die Namen!« rief er laut. »Ansonsten sollt ihr eines nie vergessen: Wir sind Franken und halten unsere Sprache in Ehren. An meinem Hof ist für niemanden Platz, der lieber schlechtes Latein als anständiges Fränkisch spricht! Rechtes Leben und rechtes Sprechen gehören zusammen! Wenn ausländische Weise …«, er warf dem Angelsachsen Alkuin einen vergnügten Blick zu, »… unsere Muttersprache für barbarisch halten, sollten wir sie eines Besseren belehren und auf ihren Reichtum verweisen. Und nur durch unsere Sprache können wir dem Bauern, dem Schmied und der Tuchmacherin unsere Beschlüsse verständlich machen und ihnen sittliches Verhalten beibringen. Was meint ihr wohl, weshalb ich angeordnet habe, daß die Geistlichen in den Kirchen auch Fränkisch predigen sollen!«
Berta stieß Angilbert unter dem Tisch an und verzog leicht das Gesicht. »Aranmanoth …«, murmelte sie und rollte mit den Augen.
»Ja, Berta«, sagte Karl, der über ein vorzügliches Gehör verfügte, »weshalb sollen wir zum jetzigen Monat ›August‹ sagen? Was bedeutet uns das? Aranmanoth ist naheliegender, der Monat, an dem Aran – die Ernte – eingefahren wird.« Er wandte sich an Hruodhaid: »Magst du mir die fränkischen Namen der anderen Monate aufführen?«
Während Hruodhaid betroffen vor sich hinstarrte, plapperte Theodrada bereits fröhlich drauflos: »Wintarmanoth, Hornungmanoth, Lenzinmanoth, Ostarmanoth, Winnemanoth …«
»Sehr schön, das genügt, Theodrada«, unterbrach Karl die Aufzählung und wandte sich wieder an Hruodhaid.
»Du hast als einzige den Ursprung des Namens Alpais begriffen«, sagte er anerkennend. Und weil er sich nicht vorstellen konnte, daß seine sonst so begriffsstutzige Tochter allein darauf gekommen war, fragte er: »Wer hat dich denn darauf gebracht?«
»Gerswind«, entfuhr es Hruodhaid. Sie erstarrte. Worte konnten ihr fehlerfrei über die Lippen kommen, wenn sie das zu Sagende zuvor nicht abwog. Erst das Nachdenken erschwerte die Aussprache. Was hätte sie jetzt für einen verstotterten Anfang gegeben!
Karl starrte sie verblüfft an, gab Madelgard einen Klaps und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Das Mädchen sprang von seinem Schoß und hüpfte wie ein junges Füllen aus dem Saal. Währenddessen blickte jeder nur zu Hruodhaid, die, hochrot geworden, das Wort M… M… Magd hervorzubringen suchte.
»Ein ungewöhnlicher Name. In meinem ganzen Leben ist mir nur eine einzige Gerswind untergekommen«, sagte Karl nachdenklich. »Und das war keine Magd!« fuhr er Hruodhaid an. Sie brach in Tränen aus. Er schlug mit der Faust so donnernd auf den Tisch, daß die halbleere Suppenschüssel hochsprang.
»Wo steckt die sächsische Ausgeburt?«
Alle Anwesenden zuckten zusammen. Nur Karl der Jüngere war ruhig geblieben.
»Fastradas Näherin scheint gewisse Ähnlichkeiten mit jener Gerswind aufzuweisen«, bot er betont gelassen an.
Karls Zorn richtete sich augenblicklich auf seinen ältesten Sohn.
»Du weißt, wo Widukinds Tochter ist, und hast es nicht der Mühe wert befunden, mir das unverzüglich mitzuteilen?« Hruodhaid rutschte zitternd von der Bank und überlegte, wie sie unauffällig den Saal verlassen könnte. Sie mußte Gerswind warnen, das war das mindeste, was sie jetzt noch für ihre Freundin tun konnte.
Sie war noch nicht einmal bis zur Tür gekommen, als Karl bereits zwei
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