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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Wachen aufgefordert hatte, die Näherin auf der Stelle in seine Beratungskammer zu bringen. Er erhob sich.
    »Mir ist der Appetit vergangen!«
    »Es kann nicht Gerswind sein!« rief Rotrud. »Ich habe doch mit dieser Näherin gesprochen …« Ihre Stimme verlor sich. Endlich begriff sie, weshalb ihr das Mädchen irgendwie vertraut vorgekommen war. Sie hatte es auf die vergleichbar gute Erziehung geschoben, die eine Grafentochter genossen haben mußte, und nicht weiter darüber nachgedacht.
    »Sie ist ein Kind. Strafe sie nicht für die Sünden ihrer Väter«, rief Karl der Jüngere seinem Vater nach.
    »Wie kannst du es wagen, mir gerade jetzt einen solchen Rat zu erteilen!« Karl war außer sich. »Da wir beide schon übernächste Woche zum hundertsten Mal gegen diese Sachsenbrut zu Felde ziehen müssen! Ha, wenn ich der erst Widukinds Tochter vorwerfe …«
    Ludwig hatte schon seit geraumer Zeit vergeblich versucht, sich bemerkbar zu machen. Er ärgerte sich maßlos, daß dieser Abend, der eigentlich der Würdigung seiner dynastischen Leistung gewidmet war, eine solche Wendung genommen hatte. Wie war es nur möglich, daß es seinen vorlauten Geschwistern immer wieder gelang, die Aufmerksamkeit des Vaters von ihm abzuziehen?
    »Laß die Sachsendirne morgen köpfen«, rief er Karl verzweifelt hinterher, »heute feiern wir doch das neue Leben, das ich geschaffen habe!«
    Der König blieb stehen und drehte sich um. Die Miene seines jüngsten Sohnes hellte sich auf: Endlich wandte sich der Vater ihm zu.
    »Eine große Leistung!« verkündete Karl mit vor Ironie triefender Stimme, »das bißchen Spucke!«
    Er stampfte aus dem Saal und hinterließ eine erstarrte Runde.
    Gerswind hatte nie daran gezweifelt, daß sich Hruodhaid irgendwann verplappern würde. Zumal sie ihr ja selbst geraten hatte, einfach draufloszureden, ohne lange über den möglichen Sinn oder Unsinn von Worten nachzudenken.
    Deshalb war sie auch nicht sonderlich überrascht, als die Tür zu ihrem Zimmer aufflog und ihr eine dröhnende Männerstimme mitteilte, daß sie augenblicklich dem König vorzuführen sei.
    Ein Mann packte sie hart am Arm.
    Sie sagte nichts, sah nur auf die Hand, die sie festhielt. Zögerlich lockerte der Mann seinen Griff.
    »In dieser Aufmachung werde ich nicht vor den König treten«, erklärte Gerswind mit fester Stimme. »Wartet vor der Tür, bis ich umgezogen und bereit bin.« Sie deutete auf den Fensterspalt. »Ich müßte mich schon in einen Vogel verwandeln, um dort hindurchzugelangen. Hinaus mit euch!« befahl sie scharf, als die Wachen noch immer zögerten.
    »Also gut, aber mach schnell«, sagte der Mann, der sie am Arm gepackt hatte.
    Gerswind atmete tief durch, als die Männer die Tür von außen geschlossen hatten. Jetzt war der Augenblick gekommen, vor dem sie sich gefürchtet, den sie aber auch herbeigesehnt hatte. Jetzt würde sich ihre Zukunft entscheiden. Sie verwarf den Gedanken, Teles zu wecken, damit er sie begleitete. Der Referendarius verdiente seinen Schlaf und nicht des Königs Zorn.
    Sie glaubte keinen Augenblick daran, daß Karl sie kaltblütig abschlachten lassen würde. Das entbehrte jetzt jeglichen Sinns. Die aufständischen Sachsen würden es doch nur bejubeln, wenn die Tochter des zu den Christen übergelaufenen Widukind geopfert würde. Nein, ihr Leben sah Gerswind nicht mehr in Gefahr.
    Aber was sollte mit ihr am Hof geschehen, wenn sie als Geisel nicht mehr benötigt würde? Wahrscheinlich würde man sie davonjagen. Dann bliebe ihr nur, nach Prüm zurückzukehren. Voller Grauen dachte sie an den langen Weg dorthin und daran, daß sie dann wohl bis an ihr Lebensende in der Tuchmacherei würde werken müssen. Es gab nur einen Ausweg: Sie mußte den König davon überzeugen, daß ihre Arbeit am Hof unverzichtbar war; sie mußte Eindruck auf ihn machen. Aber wie sollte ihr das als mausgrauer Näherin gelingen?
    Ihr Blick fiel auf das nachtblaue Sternengewand, das Fastrada nie fertiggestellt gesehen hatte.
    Unruhig schritt Karl in seinem Beratungszimmer auf und ab. Vergessen waren Madelgard, die im Schlafgemach seiner harrte, seine neugeborenen Enkel sowie die Strategien zur Aneignung der awarischen Schätze und zur endgültigen Niederschlagung der Sachsen. Gerswind, der geschwinde Speer, die sächsische Geisel mit dem weißblonden Haar, das Kind mit den altersweisen hellblauen Augen, lebte noch. Und zwar an seinem eigenen Hof! Wie war das vor sich gegangen? Weshalb wußte er davon nichts, obwohl

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