Die Beutefrau
selbst wußte nicht mehr genau, was ihn von seinem Wahn befreit hatte, nur daß ihm Angilbert und Teles dabei zu Hilfe gekommen waren. Die beiden waren ungeachtet seines empörten Protests mit lautem Geschrei in sein Gemach gestürzt. Er hatte eine schwache Erinnerung daran, daß ihm Angilbert gar ins Gesicht geschlagen, Fastrada an den Händen gepackt, von ihm weggezogen und gleich danach die schweren Stoffe und das Öltuch von der Fensteröffnung heruntergerissen hatte. Teles hatte dabei die ganze Zeit Unverständliches wie eine Litanei heruntergebetet. Licht und frische Luft drangen ins Zimmer, und das hatte ihn wohl zur Vernunft gebracht. Er war wie aus einem bösen Traum erwacht und hatte nur noch das Bedürfnis gehabt, sich innerlich und äußerlich gründlich zu reinigen.
Einhard, der mittlerweile nach Aachen zurückgekehrt war, um die Bauarbeiten für das neue Rom zu überwachen und alles für den baldigen Einzug der Königsfamilie vorzubereiten, hatte Alkuin vor seiner Abfahrt dringend ans Herz gelegt, sich nicht ausschließlich um das geistige und geistliche Wohl des Herrschers zu kümmern.
»Du hast ja selbst gesehen, wie nicht nur sein Blick so schnell nach seinem schmerzlichen Verlust schon wieder gewandert ist«, mahnte der Schreiber eindringlich. Schließlich war niemandem am Hof entgangen, daß Karl bereits am Abend nach Fastradas Beisetzung Madelgard, die sehr junge und sehr blonde Tochter des Seneschalls, an seinen Tisch befohlen und das überaus kurze, aber wohl äußerst anregende Gespräch mit ihr in seinem Schlafgemach fortgesetzt hatte. Es erschien allen ungeheuerlich, daß sich der König, der derart fürchterlich unter dem Tod seiner Gemahlin gelitten hatte, so schnell zu trösten vermochte.
Ein gequältes Lächeln zuckte um Alkuins Mund. Fastrada hatte den König zwar über den Tod hinaus verzaubert, doch auch nachdem der Bann gebrochen war, hatte er daraus offensichtlich nichts gelernt. Er war zu seinen alten Gewohnheiten zurückgekehrt. Leider ließ Karl in Weiberangelegenheiten alle Umsicht vermissen, die sein politisches Leben auszeichnete, was sich Fastrada, die er insgeheim Dämonenkönigin nannte, früher zunutze gemacht hatte. Mit ihrer ›Grausamkeit‹, wie Einhard nicht müde wurde zu betonen, hatte sie dem Seelenheil des Monarchen großen Schaden zugefügt.
Öffentliche Gerüchte, der König habe sogar nach dem Tod der Fastrada nur mittels regelrechter Zauberei aus ihrem Bann erlöst werden können, verwies Alkuin empört in das Reich der Mär. Aber er konnte nicht verhindern, daß über des Königs Trieb bei Hof getuschelt wurde und hochrangige Beamte ihre schönen Töchter entweder vor dem König versteckten oder ihm diese bewußt zuführten.
Dabei war Alkuin selbst mit seinen vierundsechzig Jahren den schönen Seiten des irdischen Lebens keinesfalls abgeneigt. Das edle Antlitz eines Amtsbruders hatte ihn schon mehr als nur einmal bewogen, die Regungen seines Herzens in wohlgesetzten Versen einem Stück Pergament anzuvertrauen. Wenn dann ein derart Geehrter Alkuin inständig darum bat, ihn doch auch das Malen solch kunstvoller und doch deutlich lesbarer Minuskeln zu lehren, zierte sich der Mönch nicht lange. Und wer sich als talentiert erwies, dem war ein Platz im königlichen Skriptorium sicher.
Der König, der sich selbst redlich, wenn auch ziemlich vergeblich mit der Schrift abmühte, hatte sich schon wiederholt verwundert darüber geäußert, daß sein Hoflehrer eine solche Vielzahl von Begabungen in der Schreibstube hatte versammeln können, allesamt Männer von höchst anziehendem Äußeren. Da die meisten Schreiber allerdings eher zierlich von Gestalt und mit weichen Gesichtszügen und zarten Fingern ausgestattet waren, zog Karl den Schluß, daß ihm wohl aus rein körperlichen Gründen das Erlernen solch schöner Schrift verwehrt war.
»Ich bin zu groß, zu grob gezeichnet und zu ungelenk für dieses feine Werk«, stellte er fest. Und er sah sich in seiner Theorie bestätigt, als Alkuin seinen Lieblingstöchtern Rotrud und Berta eine besondere Fähigkeit in der Kunst des Buchstabenmalens bescheinigte.
Alkuin brachte also durchaus Verständnis für menschliche Schwächen auf und mühte sich auch, Erklärungen für die stark ausgeprägte Sinnenfreude des Königs zu finden.
»Er trinkt mäßig«, setzte er Einhard auseinander, »er bettet sich auf harte Lager und trägt das, was er selbst vernünftige Kleidung nennt. Keinem seiner Getreuen mutet er Härten zu,
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