Die Beutefrau
anderer dorthin folgte. Voller Schaudern erinnerte sie sich an einen Wutausbruch des Königs, der ihr einmal bunte Bänder aus der Hand geschlagen hatte, die sie kunstvoll verknotet an ein Kleid hatte nähen wollen. »Was unterstehst du dich, in meinem Haus einen solchen Zauber anzufertigen!« hatte er sie angebrüllt. »An welchem Kreuzweg wolltest du dieses Machwerk niederlegen, du heidnische Ausgeburt?«
Das Mißverständnis war zwar schnell aufgeklärt, aber Gerswind erkannte, wie überaus behutsam sie zu Werke gehen mußte, wenn sie sich tatsächlich einmal gewisser Künste bediente. Oder wenn sie in Gegenwart anderer den Wald betrat. Es würde sicherlich mehr als nur Befremden hervorrufen, wenn sie ihn laut um Erlaubnis fragte! Den Jägern würde der Wald den Zutritt bestimmt nicht gestatten, denn Gerswind konnte oft noch Wochen später die Schneisen erkennen, die eine Jagdgesellschaft geschlagen hatte.
»Nichts ist schöner, als nach gelungener Jagd am Feuer einen Spießbraten zu verzehren«, setzte der junge Karl jetzt hinzu, »und ich würde mich freuen, wenn du mir dazu den Becher reichtest.«
Gerswind, sonst nie auf den Mund gefallen, verschlug es die Sprache. Solange sie zurückdenken konnte, hatte sie davon geträumt, daß sich Carolino ihr zuwenden würde. Sie hatte sich ausgemalt, wie er ihr an einem lauschigen Flecken unter freiem Himmel seine Liebe erklärte. Wie sie seinen Antrag hochherzig zurückwies, da der König für seinen Prinzen sicherlich die Erbin eines schönen Landes vorgesehen hatte. Dennoch würde sie ihm ewige Liebe schwören und sich damit begnügen, seine Friedelfrau zu werden. Dagegen konnte der König nichts einwenden. Schließlich duldete er die Liebschaften seiner beiden ältesten Töchter – Berta hatte ihrem Angilbert inzwischen sogar einen Sohn namens Hartnid geboren –, und er sah auch in diesem Augenblick darüber hinweg, daß Hruodhaid einem bayerischen Königsboten sehr liebevoll Leckerbissen in den Mund steckte.
Als Gerswind an jenem denkwürdigen Abend drei Jahre zuvor wieder am Hof aufgenommen worden war, hatte Carolino sie auf die Stirn geküßt, ihr ins Ohr geflüstert, daß sie wunderschön sei und er sich über ihre Rückkehr freue. Die Erinnerung an diesen Augenblick hütete sie wie den Diamantring unter ihrem Kleid, doch danach hatte Carolino nie wieder eine Gelegenheit gesucht, sich ihr zu nähern. Und jetzt bot er ihr vor dem versammelten Hof an, seine Jagdgefährtin zu werden!
»Sie weiß die Hatz nicht zu schätzen. Da bleibt sie besser daheim«, versetzte der König. Es klang wie ein Befehl.
»Nein, ich komme diesmal mit«, widersprach Gerswind. »Ich esse gern Fleisch, da sollte ich zumindest einmal erlebt haben, wie es beschafft wird.«
»Möchtest du den morgigen Tag nicht lieber mit dem Brief deiner Schwester verbringen?« fragte Karl. Als Gerswind ihn verständnislos ansah, nickte er dem Königsboten zu: »Gib ihr den Brief.«
Der Angesprochene schob behutsam Hruodhaids Hand zur Seite, zog eine dünne Pergamentrolle aus dem Wams, stand auf und überreichte sie Gerswind mit einer leichten Verneigung.
»Die Gräfin bedauert, daß sie erst jetzt die Antwort schicken konnte«, sagte er.
Gerswind starrte auf das Pergament mit dem aufgebrochenen Siegel. Vergessen waren Carolino, der König und die Jagd. Nach zwei Jahren war endlich Antwort auf den Brief gekommen, den sie ihrer mit dem Grafen Welf verheirateten Schwester Heilwig ins bayerische Altdorf geschickt hatte.
»Es steht auch etwas über deine Mutter drin«, bemerkte Karl und setzte ermunternd hinzu: »Dann geh schon, und lies ihn jetzt. Du bist entschuldigt. Auch wenn ich immer noch meine, daß solch kleine Schrift bei Tageslicht viel besser zu entziffern ist und das Nachtlicht den Augen schadet. Aber wenn du morgen unbedingt Bären erlegen willst …«
»Über unsere Mutter habe ich dir nicht viel mitzuteilen«, las Gerswind im Schein der kleinen Öllampe auf ihrem Pult. »Mir ist nur bekannt, daß sie nach meiner Heirat unseren Vater verlassen hat. Ich selbst war auch froh, weggehen zu können, denn es war nur noch ein Leben im Streit. Das Christentum ist eine Religion der Liebe, haben wir gelernt, doch mir scheint, es hat unserer Familie die Liebe genommen. Ich habe von Geva nichts mehr gehört, kann nur vermuten, daß sie noch lebt und zu ihren Leuten in den fernen Norden gezogen ist. Vor Jahren habe ich einem Missionar einen Brief an ihren Bruder, den Dänenkönig Siegfried,
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