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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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mitgegeben, aber ich weiß nicht, ob das Schreiben seine Bestimmung erreicht hat.«
    Sie selbst fühle sich in Bayern immer noch fremd, schrieb Heilwig, doch die Geburt ihrer beiden Töchter Judith und Hemma habe sie mit vielem versöhnt. »Judith ist jetzt zwei Jahre alt. Sie ist wunderschön, meine ganze Wonne, mein Leben. Wenn mein Mann sie als Geisel einsetzen wollte, würde ich ihn auch verlassen.«
    Betroffen las Gerswind den letzten Satz noch einmal. Aber die Buchstaben waren deutlich aneinandergereiht: Die Frau, an die sie sich nicht mehr erinnerte, ihre Mutter, hatte ihren Vater Widukind verlassen, weil sie, Gerswind, König Karls Geisel geworden war.
    Sie ließ den Brief auf dem Pult liegen, setzte sich auf die Eichenbank neben der Tür und begann über all das Leid nachzudenken, das ihrer Familie, ihrer Sippe, den Sachsen seit einem Vierteljahrhundert zugefügt worden war.
    Scham stieg in ihr auf, als sie vor sich selbst zugeben mußte, daß sie in den vergangenen drei Jahren wie ein verwöhntes Prinzeßchen am Königshof gelebt und sich über ihre Herkunft kaum mehr Gedanken gemacht hatte. Sie hatte das Versprechen gebrochen, das sie ihrem Vater an der Stätte der Macht gegeben hatte, sie hatte die Götter ihrer Kindheit verraten und nur noch eine schwache Erinnerung an das, was eine Sächsin ausmachte. Inzwischen dachte, fühlte und kleidete sie sich fränkisch. Höchst selten betete sie noch zu einer der alten Gottheiten, von denen sie nur ein paar Namen behalten hatte.
    Dabei zog König Karl nach wie vor jedes Jahr gegen ihr Volk zu Felde – in diesem Frühsommer war das große Heer gar mit neuartigen mächtigen Schiffen ausgerüstet worden. Diese, die über Land geschleppt und in den Flußläufen getreidelt wurden, brachten den König bis an die Küste des Nordmeers, des sächsischen Ozeans, im Lande Hadeln. Angesichts der militärischen Übermacht hatten sich die dortigen Sachsen auch in diesem Jahr ergeben. Aus Angst vor völliger Verwüstung des Landes unterwarfen sie sich dem König und stellten wieder einmal Geiseln. Betroffen überlegte Gerswind, daß es diesen wohl kaum so gut erging wie ihr am Königshof. Danach ließ Karl jeden dritten Mann und seine Familie in eine weit entfernte Gegend umsiedeln, und in die verlassenen Häuser und Höfe zogen fränkische Familien ein.
    Das alles hatte der König voller Begeisterung berichtet, als er in diesem September mit dem jungen Karl zurückgekehrt war. Und ich habe kaum hingehört, weil ich so froh war, daß Carolino unversehrt geblieben ist. Wenn ich doch nur mit Teles reden könnte!
    Aber ihr alter Freund Teles konnte ihr jetzt nicht mehr weiterhelfen. Der Referendarius war ein zittriger, blinder Greis geworden, der kaum noch seine Kammer verließ und Wirres sprach.
    »Er hat das Recht, in seiner eigenen Welt zu leben«, verteidigte ihn Gerswind, wenn sich andere über seine Aussprüche belustigten. Ganz selten gelang es ihr noch, mit ihm ein vernünftiges Gespräch zu führen. Das waren Lichtblicke und ließen sie hoffen. Doch als er sie inmitten eines derartigen Gesprächs immer wieder Sophia nannte, packte sie tiefe Traurigkeit: Von Teles würde sie nie mehr etwas über Widukind erfahren können.
    König Karl hatte ihr zwei Jahre zuvor gestattet, einen Brief an das Kloster zu schicken, in dem ihr Vater jetzt wohnte. Ein Bote überbrachte ihr Monate später die mündliche Antwort: Ein Mönch hat keine Familie.
    Ich auch nicht, dachte Gerswind, meine sächsische Sippe ist nicht umgesiedelt worden, sondern hat sich selbst in alle Winde zerstreut. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.
    Traurig erhob sie sich, ging wieder zum Pult und las den Brief ihrer Schwester zu Ende. Doch immer wieder wanderte ihr Blick zu dem Satz, der Schuldgefühle in ihr geweckt hatte.
    Irgend jemand rüttelte sie an der Schulter. Verschlafen öffnete Gerswind die Augen und schloß sie sofort wieder, da sie ein Flammenmeer zu sehen vermeinte, jenes Inferno, das in ihren immer wiederkehrenden Alpträumen eine sächsische Hütte verschlang.
    »Aufwachen!« rief Hruodhaid ungeduldig. Jetzt erst erkannte Gerswind, daß ein goldener Lichtstrahl durch die schmale Fensteröffnung gedrungen war und die wilden roten Locken ihrer Freundin in Feuer verwandelt hatte.
    »Du bist ja schon fertig angekleidet!« rief Gerswind verwundert. Sie erinnerte sich, in dieser Nacht durch keinen Tritt geweckt worden zu sein, und fragte: »Hast du überhaupt geschlafen?«
    »Nein!« jubelte Hruodhaid,

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