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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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»Nein! Ich … ich …« Vor lauter Aufregung verfiel sie wieder in Stottern. Das überkam sie jetzt nur noch höchst selten. Gerswind setzte sich auf und nickte.
    »Ich kann es mir denken«, sagte sie müde. »Der hübsche bayerische Königsbote.«
    »Freust du dich denn gar nicht für mich?« fragte Hruodhaid enttäuscht. »Ich bin jetzt eine Frau wie die anderen auch!«
    Die anderen, Rotrud und Berta, galten den jüngeren Töchtern Karls als nacheifernswertes Beispiel. Das bezog sich auf deren Gelehrsamkeit, Dichtkunst, Schönheit, Kühnheit, Witz und Sinnenfreude.
    »Da hast du mir etwas voraus«, gab Gerswind ungerührt zurück. »Und jetzt geh schon, ich habe vor der Jagd noch etwas zu erledigen.«
    Hastig kleidete sie sich an und eilte dann ins Studierzimmer der Hofschule, wo sie Einhard anzutreffen hoffte. Der Schreiber war dafür bekannt, daß er vor seinen vielfachen täglichen Verpflichtungen schon im Morgengrauen an seinen Annalen arbeitete.
    Doch heute stand er nicht allein am Pult. Ein hochgewachsenes fremdes Mädchen blickte auf, als Gerswind den Raum betrat. Hätte es sich nicht um den gestrengen kleinen Einhard gehandelt, der mit offener Mißbilligung das lockere Treiben am Hof beanstandete und den jeder tatsächlich mehr als Ameise denn als Mann betrachtete, hätte Gerswind sich ihren Teil gedacht und mit einem Wort der Entschuldigung das Paar sich selbst überlassen. Da aber Einhard über solchen Verdacht erhaben war, musterte sie neugierig das etwa gleichaltrige Mädchen, das ein schlichtes blaues Kleid trug und die langen hellbraunen Haare etwas nachlässig zu einem Zopf gebunden und um den Kopf geschlungen hatte.
    »Gerswind, das ist Emma, eine neue Schülerin«, stellte Einhard die beiden einander vor. Belustigt stellte Gerswind fest, daß ihm eine leichte Röte ins Gesicht gestiegen war. Wenn es nicht ungehörig gewesen wäre, hätte sie ihm versichert, daß sie ihm in Gegenwart eines weiblichen Wesens nur lautere Absichten unterstellte.
    »Emma ist aus einem Wormser Kloster zu uns geschickt worden, da sie über große Begabung verfügt, die hier ausgebaut werden soll.«
    Damit bog Einhard die Wahrheit ein wenig zurecht. Es hatte ihn nämlich immense Überredungskraft gekostet, sowohl die Äbtissin als auch die Mutter davon zu überzeugen, daß auf Emma am Königshof eine vielversprechende Zukunft wartete. Als er bei Karl vorsprach, hatte er sogar verschweigen wollen, daß es sich bei der gewünschten neuen Schülerin um eine leibliche Tochter des Königs handelte. Aber er hatte das Gedächtnis des Königs, der sich an seine Kindheit angeblich kaum erinnern konnte, unterschätzt. Zu Einhards Verblüffung nannte er sogar den Namen der Mutter und den Zeitpunkt von Emmas Geburt. Er wies Einhards Anliegen ab. Doch Einhard blieb hartnäckig, so daß der König nach langem Zögern seinem Schreiber-Baumeister unter einer Bedingung den Wunsch erfüllte: Emma durfte an den Hof kommen, müßte ihn aber unverzüglich wieder verlassen, wenn Gerüchte aufkämen, daß er ihr Vater sei.
    »Willkommen an unserem Hof der Gelehrsamkeit«, begrüßte Gerswind die neue Schülerin freundlich. »Du wirst dich bestimmt gut mit Hruodhaid verstehen. Sie hat ihre ersten Lebensjahre auch in einem Kloster verbracht.«
    Dann wandte sie sich an Einhard und bat ihn um eine Abschrift des Sachsengesetzes, das Karl bereits fünfzehn Jahre zuvor erlassen hatte. Teles hatte Gerswind einmal erzählt, daß die Sachsen diese Schrift, die ihre Rechte so arg beschnitt, als ›Blutgesetze‹ gebrandmarkt hatten.
    Sie war überrascht, daß Einhard, der Schriften sonst immer zögerlich herausgab und stets eine Begründung dafür verlangte, sofort zu einer Truhe ging, eine Rolle hervorzog, sie ihr überreichte und ihr gleich darauf die Tür aufhielt.
    »Gib gut darauf acht, die Abschrift ist kostbar. Ich möchte sie in spätestens zwei Tagen zurückhaben«, rief er ihr noch nach.
    Im Gehen versuchte Gerswind die ersten Zeilen auf dem Pergament zu entziffern und übersah dabei einen Mann, der vor dem Fachwerkwohnturm stand und nach oben starrte. Fast wäre sie mit ihm zusammengestoßen.
    »Verzeiht«, beeilte sich der Mann zu sagen. Gerswind blickte in ein scharf geschnittenes Gesicht mit schwarzem Kinnbart. Der Mann trug ein langärmliges schwarzes Gewand, das bis zu seinen Sandalen reichte. An seinem Gürtel baumelte keine Waffe.
    »Was suchst du hier?« fragte Gerswind, verwundert, daß die Wachen diesen fremdartig aussehenden Mann

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