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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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werden durften.
    Nach den Osterfeierlichkeiten zeigte Angilbert Karl und seinem Gefolge stolz den eigenen Akademiesaal. Er war dem Zimmer der Aachener Abendunterhaltungen nachempfunden und der am edelsten eingerichtete Raum in der Abtei von Saint Riquier. Strahlen der untergehenden Sonne fielen durch kleine buntgefärbte Glasfenster und tauchten farbenprächtige Stoffe und Fresken an der Wand in ein mildes Licht. Interessiert musterte Gerswind eine Flöte mit zwölf Grifflöchern und mechanischen Klappen, die an der Wand hing und aus einem ihr unbekannten Material bestand.
    »Ein Aulos, den mir ein Pilger aus dem Orient mitgebracht hat«, erklärte Angilbert stolz und nahm das Instrument vorsichtig vom Haken. »Er ist aus den Zähnen von Elefanten geschnitzt und kann vierundzwanzig verschiedene Töne hervorbringen, stellt euch vor!«
    Er holte tief Luft, setzte das Blasinstrument an den Mund und erzeugte eine Reihe schriller, schnarrender Töne. Berta hielt sich die Ohren zu.
    »Bitte, mein liebster Homer, kräftige deinen Atem im Wald, und schone unsere empfindlichen Ohren!« bat Karl. Berta nickte ihrem Vater dankbar zu und ließ sich auf einen mit reichem Schnitzwerk versehenen Holzsessel fallen.
    »Ich habe viel zuviel gegessen«, seufzte sie. »Am liebsten möchte ich mich gar nicht von der Stelle rühren.«
    »Warum sollten wir auch ein so schönes Gemach verlassen!« stimmte ihr Rotrud zu und setzte sich an einen Eichentisch mit kunstvoll gedrechselten Beinen. »Die einzige Bewegung, die mich jetzt reizen könnte, wäre die des Geistes. Wem fällt ein kluges Ratespiel ein?«
    Karl hob die Brauen. »Der Verdauung wäre ein schneller Ritt durch den Forst dienlicher.«
    Als alle stöhnten, winkte er ab und wandte sich an Einhards Frau Emma, die angelegentlich ein Fresko studierte. Darauf war ein Wolf abgebildet, der am Ufer eines Flusses stand und hungrig zu einer Ziege jenseits des Wassers blickte.
    »Nun, Emma«, meinte er lächelnd, »welches Rätsel kannst du diesem Kunstwerk entnehmen?«
    Emma dachte nur kurz nach und sagte dann: »Wie führt ein Mann einen Wolf, eine Ziege und einen Kohlkopf über den Fluß, wenn er nur eines auf einmal mitnehmen kann und verhindern möchte, daß der Wolf die Ziege oder die Ziege den Kohl auffrißt?«
    Die anderen grübelten noch, als Gerswind lachend rief: »Ach, Emma, das ist doch viel zu leicht! Erst fährt er die Ziege rüber, kehrt dann zurück, holt den Kohlkopf, nimmt die Ziege dann wieder ans andere Ufer mit, wo er den Wolf einlädt, und zum Schluß holt er wieder die Ziege.«
    »Solch einen Unsinn habe ich noch nie gehört!« meldete sich Ludwig zu Wort und musterte Gerswind voller Verachtung. »Nur einer sächsischen Ausgeburt würde es einfallen, einen Wolf in ihr Boot zu laden, ihn mit heidnischem Zauber gefügig zu machen und dann auf die Säuglinge des nächsten christlichen Dorfs zu hetzen.«
    Seinen Worten folgte ein peinliches Schweigen, das Karl schließlich mit einem Räuspern brach.
    »Die kräftigen Speisen haben wohl manchen Geist ein wenig lahmgelegt«, meinte er. »Ich denke, diesem und uns allen täte ein längerer Aufenthalt an der frischen Luft gut. Angilbert, sorge doch dafür, daß wir morgen wieder eine große Jagd abhalten können. Um die körperliche Ertüchtigung mit einer Bereicherung des Speiseplans zu verknüpfen. Und alle, die sich heute abend hier versammelt haben, sollen daran teilnehmen.« Er warf Gerswind einen vielsagenden Blick zu. »Auch diejenigen, die wie Pferde vor den Hunden scheuen und wie Hunde vor den Pferden davonlaufen.«
    Sein Blick ruhte immer noch so deutlich auf Gerswind, daß sie mit großem Unbehagen erwiderte: »Ich scheue keine Hunde, bin nur nicht mit ihnen vertraut, und ich laufe nicht vor den Pferden davon, sondern sie mir, aber ich verspüre keinen Wunsch, mich der Jagdgesellschaft anzuschließen, man möge mich entschuldigen.«
    »Auch nicht, wenn dich mein Sohn Karl zur Jagdgefährtin erwählt?« bohrte der König weiter und setzte mit feiner Schärfe hinzu: »Oder ist dir etwa ein anderer meiner Söhne lieber?«
    Ein triumphierendes Lächeln spielte um Ludwigs Mund. Wenige Tage nach der großen Demütigung, die ihm durch Gerswind widerfahren war, hatte er sich bitter bei seinem Vater über die Sachsengeisel beklagt. Wiederholt habe diese bei seinen Aufenthalten am Aachener Hof versucht, ihn mit Zauberei an sich zu binden und willenlos zu machen, erklärte er, und das sei ihr einmal sogar geglückt: Bei

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