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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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einer Jagd habe sie sich im Wald in seine Gemahlin Irmingard verwandelt, und da sei dann das Unaussprechliche geschehen, von dem er sich nur durch langes Fasten und Beten habe reinigen können.
    Sein Vater hatte ihn teilnahmslos angesehen und aufgefordert, Beweise für Gerswinds heidnisches Tun zu erbringen. Erst dann gedächte er, das Mädchen zu bestrafen.
    Ludwig hatte das Gemach des Vaters enttäuscht verlassen. Offensichtlich gedachte der König nichts zu unternehmen. Die letzte Bemerkung zeigte aber immerhin, daß er dieses Gespräch nicht vergessen hatte.
    Alle im Raum blickten neugierig zu Gerswind, die erst kreidebleich und dann vor Wut hochrot geworden war. Sie stürzte auf den grinsenden Ludwig zu und hätte ihm wohl einen Schlag versetzt, wäre in diesem Augenblick nicht die Tür aufgeflogen und ein Bote erschienen, der mit lautem Geschrei alle Aufmerksamkeit einforderte.
    Er wartete gar nicht erst, bis er dem König seine Botschaft unter vier Augen übermitteln konnte, sondern verkündete außer sich: »Ein Anschlag! Ein fürchterlicher Anschlag! Auf den Papst! Das Volk von Rom hat sich gegen den Heiligen Vater erhoben! Ihn bei der Prozession angegriffen!«
    Der Unruhe, die auf diese Nachricht im Saal einsetzte, gebot Karl mit einer Handgebärde und dem Ruf um Stille Einhalt. Keiner rührte sich mehr, und alle starrten den Boten gespannt an.
    »Hat er es überlebt?« fragte der König knapp.
    »Ja, er lebt noch«, erwiderte der Bote atemlos und lehnte sich erschöpft gegen die Wand. »Aber was soll nur aus einem Heiligen Vater werden, dem man die Zunge herausgerissen und die Augen geblendet hat?«

8
    Die Reise
    Im Jahr 799
    Niemand schlief in jener Nacht ruhig. Karl, der sofort Boten nach Rom und zu Alkuin nach Tours entsandt hatte, blieb bis zum Morgengrauen wach und besprach mit seinen Söhnen und engsten Ratgebern mögliche Folgen des Anschlags auf den Heiligen Vater.
    »Vielleicht ist ja alles nur ein Mißverständnis«, meinte Ludwig. »Gott kann doch nicht zulassen, daß Christi Stellvertreter während der päpstlichen Jahresprozession überfallen und verstümmelt wird! Wenn das wirklich stimmt, hätte auf der Stelle ein Blitzstrahl die Verschwörer treffen müssen!«
    »Sei nicht so abergläubisch!« tadelte ihn Angilbert. »Gott behält sich seine Urteile selbst vor. Wir müssen uns in Geduld fassen, bis wir genauere Nachrichten erhalten haben, aber du, Karl, wirst als Verteidiger der Kirche nicht umhinkommen, Leo beizustehen.«
    Der König nickte seufzend. »Es ist sehr bedauerlich, daß dieser Heilige Vater offensichtlich mehr mit seinen menschlichen Schwächen zu kämpfen hat als sein Vorgänger, mein geliebter Freund Papst Hadrian. Aber Gottes Kirche darf nicht angegriffen werden und ihr Oberhaupt schon gar nicht. Sonst wird jeder Bischof und jeder Abt um sein Leben bangen müssen, und gerade jetzt …«
    Er brach ab und wandte sich unwirsch zur Tür, an die deutlich vernehmbar geklopft wurde.
    »Ich verbitte mir jegliche Störung!« rief der König ärgerlich, während er höchstselbst die Tür aufriß.
    Seine Miene entspannte sich, als er Gerswind vor sich sah. Verwundert musterte er ihre Reisekleidung und ihren wildentschlossenen Blick.
    »Ich muß unverzüglich zurück nach Aachen«, sagte sie verstört. »Aber man will mir ohne deine Erlaubnis kein Pferd geben.«
    »Daran tut man gut«, erwiderte Karl. »Sonst wüßte ich nicht, um wen ich mich mehr sorgen müßte: um dich oder um das Pferd. Weshalb hast du es denn plötzlich so eilig? Wir brechen doch übermorgen ohnehin auf.«
    »Das ist viel zu spät«, flüsterte Gerswind und brachte mit erstickter Stimme hervor: »Teles …«
    Die Bilder ihres Traumgesichts stiegen wieder vor ihr auf. Der geblendete Papst und der blinde Teles hatten sich darin zu einer Person vereinigt, die sie mit der Stimme des Griechen anflehte, nach Aachen zurückzukehren: »… bevor ich zu den Ahnen gerufen werde.«
    Tränen stürzten Gerswind aus den Augen. »Bitte, ich muß ihn noch einmal sehen!«
    »Natürlich mußt du das!« sagte Karl begütigend.
    »Wo ist denn dieser Bote aus Aachen?« ertönte Ludwigs näselnde Stimme. »Und wieso überbringt er einer Geisel eine Nachricht?«
    »Bitte hilf mir!« flehte Gerswind Karl an. Sie sah derart verzweifelt aus, daß der König sie an sich zog, ihr sanft den Rücken streichelte und es geschehen ließ, daß ihre Tränen sein Wams näßten.
    »Es war wohl kein Bote, sondern eher ein Traum«, erklärte Karl

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