Die Beutefrau
erteilen«, fuhr der König im Plauderton fort. »Dann würde ich dich entweder mit Schimpf und Schande vom Hof vertreiben oder aber – wie bei meinen anderen gekrönten Täubchen und ihren klugen Männern – dulden, daß du sie heimlich aufsuchst. Du weißt besser als jeder andere, daß ich keine meiner Töchter einem Mann zur Gemahlin geben kann. Aber bei Emma gestaltet sich die Angelegenheit anders …« Er unterbrach sich selbst, trat ans Fenster und bemerkte wie nebenbei: »Wie schön, daß sich jetzt wieder Schnee auf alle Spuren gelegt und sie beseitigt hat. So soll es auch bleiben. Da Emma eben nicht zu meinen Töchtern zählt, steht euch beiden nichts im Wege, Gott zum Beschützer eurer Ehe anzurufen.«
Er trat auf den Mann zu, der ihm nach Alkuins Weggang am nächsten stand, schlug ihm so heftig auf die schmale Schulter, daß sich der Schreiber kaum aufrecht halten konnte, und versetzte: »Schließlich möchte ich nicht, daß mein wichtigster Freund und Berater bei einem solchen Ritt stürzt und sich möglicherweise das Genick bricht.« Karl konnte sich dann doch nicht enthalten hinzuzusetzen: »Oder daß sie dich schwungvoll abwirft. Den Frauen ihrer Familie ist alles zuzutrauen, wie die Geschichte gelehrt hat. Aber darüber weißt du ja trefflich zu schweigen.«
Einhard war auch jetzt noch sprachlos.
»Das war's«, sagte der König ungeduldig. »Leite alles in die Wege; ich möchte auf deiner Hochzeit fröhlich sein.«
Als Einhard wenig später im Skriptorium die Feder spitzte, um an seinem Werk über die großen Taten des Königs zu arbeiten, juckte es ihm in den Fingern, auch diese Geschichte zu erzählen. Er hatte bereits so viele komplizierte politische Betrachtungen angestellt, sich große Mühe gegeben, den König in seiner ganzen Macht und Herrlichkeit, aber auch in seinen Unzulänglichkeiten darzustellen. Er wollte nicht wie die Araber schmeicheln, sondern ein ehrliches Werk schaffen, doch mußte wirklich alles erwähnt werden? Sollte er vielleicht nicht lieber die Stellen streichen, in denen er das Äußere des Königs so schonungslos beschrieb? Aber, ach, spätere Leser würden ihm ohnehin vorwerfen, den großen Karl viel zu geschönt darzustellen. Dann lieber gleich ganz ehrlich. Ja, Karl hatte eine viel zu hohe Stimme für seinen mächtigen Körper! Ja, er hatte fast keinen Hals und einen dicken Bauch! Aber er hatte einen wunderbaren Sinn für Humor, war nachsichtig und großzügig. Nichts konnte dies besser illustrieren als ebendie Geschichte von den Spuren im Schnee.
Doch ein Beobachter, der sich selbst zur Hauptfigur machte, könnte seine Glaubwürdigkeit verspielen. Und er durfte vor allem mit keinem Hinweis andeuten, daß Emma tatsächlich Karls Tochter war. Das hatte er dem König versprochen. Also überlegte Einhard, ob er einem anderen Liebespaar am Hof diese Geschichte zuschreiben könnte. Rotrud und Rorico fielen aus, da Rotrud den mächtigen und mittlerweile ziemlich korpulenten Grafen von Maine unmöglich auf die Schultern nehmen konnte. Der zierliche Angilbert hingegen könnte von seiner stattlichen Berta bestimmt ein kurzes Stück des Weges getragen werden. Außerdem hatte Karl, stolz auf seine Enkel Hartnid und den gerade geborenen Nithard, Einhard gedrängt, auch Bertas Nachwuchs in seinen Annalen Platz einzuräumen. Schmunzelnd machte Einhard eine Notiz an den Rand seines Pergaments. Irgendwann würde er den Söhnen des sich liebenden Paares eine Anekdote über ihre Eltern erzählen können, und irgendwie hatte er eine Ahnung, daß sie sich diese Anekdote merken würden. Er konnte natürlich nicht wissen, daß Nithard Jahrzehnte später in seine eigenen Fußstapfen treten und diese Geschichte der Nachwelt tatsächlich überliefern sollte.
Inzwischen weilte Nithards Vater Angilbert den größten Teil des Jahres in seiner Abtei Saint Riquier. Voller Sehnsucht nach ihrem Geliebten, gelang es Berta, den Vater davon zu überzeugen, mit dem gesamten Hof dort das Osterfest zu verbringen. Große Überredungskraft brauchte die Tochter nicht aufzuwenden, denn Angilberts Küche galt als eine der besten des Landes, und der König sehnte sich nach der vierzigtägigen Fastenzeit wieder nach einem ordentlichen Braten. Er hatte sich in diesem Jahr nämlich nicht von dem Gebot freigekauft, auf Fleisch, Eier- und Milcherzeugnisse zu verzichten. Allerdings empfand er es als gewisse Erleichterung, daß in der Fastenzeit neuerdings auch Gänse und Biber zu den Wassertieren gerechnet
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