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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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sich eine schwarze Wolke vor den Vollmond, und dann waren nicht einmal mehr Schatten sichtbar.
    »Es wird hell, Gerswind, jetzt sehe ich dich deutlich vor mir! Es gehe dir gut.«
    Die Stimme des Griechen verstummte. Aber es war noch nicht vorbei. Irgend etwas befahl Gerswind, aufzustehen und weiter in den Wald vorzudringen. Mühsam stand sie auf, und wieder schien ihr das Unterholz den Weg zu weisen. Sie wußte nicht, wie lange sie gegangen war, als sie plötzlich gegen ein Hindernis stieß. Sie streckte die Hände aus und spürte zu ihrer Verblüffung Holz, das horizontal zu wachsen schien. Als sie genauer hinsah, erkannte sie eine Wand, die aus Baumstämmen gefertigt worden war. Sie trat einen Schritt zurück und entdeckte zu ihrer Verblüffung, daß sie zu einem menschlichen Bauwerk gelangt war. Zu einem Haus mitten im Wald.
    Sie ging um das Gebäude herum und fand seine Tür.
    Ohne Furcht stieß sie diese auf, bückte sich und trat ein.
    Jemand schrie. Und dann wurde es ganz still.
    »Berchta! Die Göttin Berchta!« hörte sie ein Raunen. In der Mitte des Raumes brannte ein kleines Licht. Irgend jemand entzündete daran ein weiteres. Und noch eins. Und noch eins. Gerswind blieb still auf der Stufe aus grobem Stein stehen und starrte auf eine kleine Gruppe Menschen. Ein alter Mann lag auf einem Strohsack in der Ecke. Neben ihm hockte eine jüngere Frau mit verfilztem blonden Haar. Zwei weitere Frauen saßen an der erloschenen Feuerstelle mitten im Raum, zwei kleine Kinder hatten sich angstvoll an ihre Seiten geflüchtet, ein drittes lag schlafend zu ihren Füßen und ein viertes in einer Wiege, die aus einem ausgehöhlten Baumstamm gefertigt war. Aus einem Kessel lugte ein Pferdekopf, und von der Decke baumelten lange Stücke Fleisch.
    »Ich kann Baum unter Bäumen, Strauch unter Sträuchern sein«, hörte sich Gerswind sagen, »und auch ihr müßt dies lernen. Nur so könnt ihr denen entgehen, die euch jagen.«
    »Wer sind wir schon!« klagte eine Männerstimme. Gerswind sah, wie sich ein Schatten von der Wand löste. Humpelnd kam ein nicht mehr junger Mann auf sie zu, beugte vor ihr das Haupt und sagte: »Es ehrt uns, daß du uns aufsuchst, gnädige Berchta, doch sag: Was bleibt uns noch? Der König wollte unsere Sippe in ein fremdes, fernes Land verpflanzen. Die anderen sind gegangen, aber ich …«, er deutete an sich herunter, »… der Alte und die Frauen mit den kleinen Kindern konnten nicht lange mithalten. Wir haben die beschwerliche Reise abgebrochen, uns versteckt und sind dann geflüchtet, jeden Tag ein wenig weiter in die andere Richtung gegangen, wie du wohl weißt, und jetzt sag uns: Was soll aus uns werden, wohin führt unser Weg? In unseren eigenen Reihen herrscht Verrat. Die Eresburg ist seit langem eingenommen, die Irminsul gefallen. Wie lange werdet ihr, unsere Götter, euch noch gegen diesen grausamen Rachegott der Christen wehren können? Auf uns harrt der Untergang, das ist gewiß. Auch wenn wir uns bisher retten konnten und uns der Wald mit dem Nötigsten versieht. Aber nicht immer haben wir das Glück, daß wir einem Reisezug ein Pferd stehlen können – und wie lange wird das Fleisch schon reichen?«
    Eine fremde Macht schien von Gerswind Besitz ergriffen zu haben. Es kam ihr vor, als ob sie diese Worte schon einmal gehört, dieses Leben schon einmal gesehen hatte, aber wo sollte das gewesen sein? Solange sie sich erinnern konnte, war sie an des Königs Hof gewesen. Und doch erschien ihr dieses Bild unendlich vertraut.
    »Seid ihr getauft?« fragte sie unvermittelt.
    »Gewiß«, erwiderte eine Frau. »Sonst wären wir doch nicht mehr am Leben. Aber wir ehren dich, unsere Berchta.« Sie deutete auf die Asche, in die Zeichen eingeritzt waren, die Gerswind nicht kannte.
    »Ich bin nicht eure Berchta«, gestand sie. »Aber vielleicht kann ich euch helfen. Zwei Tagesreisen von hier – für euch vielleicht vier oder fünf«, setzte sie hastig hinzu, »gibt es eine Abtei. Der Ort heißt Denain. Es ist ein Kloster für Frauen. Geht dorthin. Dort werdet ihr Hilfe finden.«
    »Eine Abtei?« fragte der Sachse mißtrauisch. »Für Frauen und dem Christengott geweiht?«
    »Er vereint alle Götter in sich«, versicherte Gerswind. »Glaubt mir und glaubt ihm.«
    Und dann fiel ihr noch etwas ein. »Wißt ihr etwas von Widukinds Frau?« fragte sie.
    »Sie gehört zu uns«, sagte der Mann. »Sie hat lieber ihren Mann verlassen, als uns zu verraten. Aber wo sie steckt, wissen wir nicht.«
    »Ich bin

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