Die Beutefrau
sich an die Brust des Königs fallen. Er legte die Arme um Gerswind und hielt sie schweigend fest. Da kamen endlich die Tränen! Gerswind schmiegte sich noch dichter an den König, als ihr Körper von Schluchzern geschüttelt wurde. Es erschien ihr, als sei sie endlich heimgekommen.
»Na also, sie kann doch weinen«, brummte Ludwig.
»Weil sie begriffen hat, daß sie nicht allein ist«, sagte Liutgard leise. Auch sie hatte feuchte Augen.
Carolino näherte sich dem ungleichen Paar und räusperte sich. Der Zeitpunkt erschien ihm günstig.
»Vater«, sagte er leise. »Ich habe Dringliches mit dir zu besprechen …«
Karl blickte seinen Sohn über Gerswinds Kopf hinweg an.
»Sprich!« forderte er ihn wohlwollend auf. Durch Gerswinds Körper fuhr ein Ruck. Sie entzog sich der Umarmung des Königs, wandte ihm den Rücken zu und versuchte, Carolino mit verzweifelten Blicken von seinem Vorhaben abzuhalten.
»Das würde ich dir lieber unter vier Augen sagen«, flüsterte Carolino so leise, daß ihn die anderen nicht hören konnten. »Es geht um Gerswind und mich.«
»Um Gerswind und dich?« donnerte Karl. Hruodhaid ließ vor Schreck eine Schüssel mit kandierten Früchten fallen und stieß einen Schrei aus. Karls Augen verengten sich, an seiner Schläfe trat eine Ader hervor. Er packte Gerswind an den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. Die Verzweiflung in ihren Augen deutete er als brennende Sehnsucht nach seinem Sohn. Bis auf das leise Pfeifen, das zwischen Ludwigs Zähnen hervorkam, war es jetzt mucksmäuschenstill im Raum geworden.
Carolino, der geglaubt hatte, den geeigneten Moment genutzt zu haben, erkannte erst jetzt, wie sehr er sich geirrt hatte. Aber nun konnte er nicht mehr zurück. Warum auch? Ich lasse mir von meinem Vater nicht wieder mein Glück zerstören ! Gerswind lebte nicht im fernen Mercien, sondern stand neben ihm. Sollten doch alle wissen, daß er sie zur Braut erkoren hatte! Die Frau, vor der sich der König aller Franken unter Zeugen gerade in aller Demut verneigt hatte!
»Ich werde sie heiraten«, verkündete er standhaft. Ludwigs Augen weiteten sich.
»Den Teufel wirst du!« fuhr Karl seinen ältesten Sohn an, genau wie es Gerswind erwartet hatte. Sie stand zwischen beiden Männern, sah von einem zum anderen und schämte sich ihres Gefühls: Am liebsten wäre sie in des Königs Arme geflüchtet und auf immer dort geblieben.
»Nächste Woche. Ob mit oder ohne deinen Segen.«
Ludwig war auf seiner Bank ganz nach vorn gerutscht und hatte die Hände zu Fäusten geballt.
»Nächste Woche«, sagte der König mit sengender Schärfe zum jungen Karl, »wirst du dich mit mir auf einen Feldzug begeben, um das immer noch aufständische Volk der Sachsen zu bändigen und mit kaltem Eisen zu schlagen!«
Die letzten Worte schleuderte er Gerswind ins Gesicht. Ludwigs Miene erhellte sich. Das Mädchen floh aus dem Zimmer.
Später erfuhr Gerswind von Rotrud, daß dieser Feldzug schon seit einiger Zeit beschlossene Sache war.
»Willst du denn unbedingt meinen Bruder heiraten?« fragte sie sachlich, als sie gemeinsam am Webstuhl standen. Gerswind schüttelte stumm den Kopf.
»Das habe ich mir gedacht, du bist schließlich ein vernünftiges Geschöpf. Was ist bloß in ihn gefahren! Heiraten! Das ergibt doch nur Sinn, wenn er damit ein paar Länder gewinnt. Entschuldige bitte, aber deine haben wir ja schon. Auch wenn deine Leute immer wieder unnötige Scherereien machen. Und wenn ihr euch liebt, könnt ihr doch genauso Zusammensein wie Berta und Angilbert und Rorico und ich. Jetzt begreife ich endlich, weshalb du dich bei unseren Spielen immer so zurückgehalten hast! Es wird wahrlich höchste Zeit, daß mein Bruder die Freuden der Liebe entdeckt! Und eine bessere Gefährtin als dich kann er sich dafür doch gar nicht wünschen«, setzte sie vertraulich hinzu, Gerswinds ablehnenden Gesichtsausdruck gänzlich mißdeutend.
Karl verbot sich zwar, an die Szene im Akademiezimmer überhaupt nur zu denken, doch wie ein vorwitziges Vögelchen im Bärenzwinger tauchte immer wieder die Frage in seinem Kopf auf, was sich wohl zwischen Gerswind und seinem Sohn auf dem Ritt nach Aachen abgespielt haben mochte. Und er hatte dieser ganzen unglückseligen Entwicklung auch noch Vorschub geleistet! Nie im Leben wäre er auf den Gedanken gekommen, seinen frauenverschlingenden Sohn Pippin (den einstigen Karlmann) als Gerswinds Begleiter abzustellen. Und Ludwig wäre schon gar nicht in Frage gekommen, da dieser
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