Die Beutefrau
Referendarius Martinus Teles und verneigte sich vor Karl. »Im Saal ist deine Anwesenheit von größter Dringlichkeit.« Er lächelte Gerswind milde an. »Und deine auch. Deine Mutter macht sich große Sorgen um dich.« Er hielt ihr eine Hand hin, aber das Kind ergriff die Rechte von Karl, der sich inzwischen wieder aufgerichtet hatte.
»Gefangene Sachsen«, raunte Teles Karl zu. »Eine Mutter und drei Kinder. Der Rest der Familie ist tot. Eine edle Familie, soviel ist gewiß. Möglicherweise sogar die edelste aller Sachsenfamilien.«
Die kleine Hand wog mit einem Mal schwer in Karls großer.
»Nun, Gerswind«, sagte er, »dann gehen wir doch mal zu deiner Mutter.« Er schüttelte den Kopf, als Teles den Korb mit Theodrada aufheben wollte.
»Ich habe noch eine Hand frei«, erklärte er und nahm ihn selbst auf. Während sie den Gang entlangschritten, versetzte er belustigt: »Gerswind ist fürwahr ein Kind ihres Volkes – auch sie wandelt auf ganz eigenen Pfaden.« Sanft drückte er die Hand des Kindes. »Du wolltest mir doch sagen, wie dein Vater heißt?«
»Flüstern«, tuschelte das Kind. »Das geht jetzt nicht mehr.«
Denn inzwischen hatten sie den Saal erreicht. Es mußte sich in der Tat um wichtige Gefangene handeln, da mehrere Würdenträger eingetroffen waren. Sie umringten die hochgewachsene blonde Frau in der schlichten Kleidung der Landbevölkerung und zwei weitere Kinder, als handele es sich um hochrangige Kriegsgefangene.
»Macht Platz!« befahl Karl. »Was geht hier vor?«
»Gerswind!«
Die Stimme der Frau traf ihn bis ins Mark. Wie war es nur möglich, daß eine Sachsendirne mit der Stimme seiner Mutter sprach? Auch Teles hatte aufgehorcht.
»Wer bist du?« fragte Karl heiser.
»Eine Nordmannenprinzessin aus Dänemark«, antwortete einer der Würdenträger. »Jedenfalls behauptet sie das.«
»So ist es. König Siegfried ist mein Bruder. Ich verlange, mich und meine Kinder unserem Stand entsprechend zu behandeln.«
Karl atmete durch. Die Fremdartigkeit ihrer Aussprache verlieh der Stimme seiner Mutter einen ganz anderen Klang. Er ließ Gerswinds Hand los, überreichte das Körbchen mit Theodrada dem Nächststehenden und holte noch einmal tief Luft.
»Und Widukind ist dein Gemahl«, sagte er im gleichen Ton, wie er in der Kirche Jesus Christus als Gottes Sohn anerkannte.
Geva neigte leicht das Haupt.
»Und die kleine Gerswind …«, seine Augen, die beim Namen Widukind noch kalt aufgeblitzt hatten, wurden augenblicklich milder, »… der geschwinde Speer, wie ihr Name verrät und dem sie alle Ehre macht, ist deine Tochter.«
Geva nickte wieder. »Dies sind mein Sohn Wigbert und meine Tochter Heilwig.«
»Teles?« Karl wandte sich um. »Gesell die Kinder den meinen zu. Ich werde mich mit ihrer Mutter darüber unterhalten, wo sich ihr Gemahl zur Zeit aufhält.«
»Das weiß ich nicht.«
»Nichts anderes habe ich erwartet«, erwiderte Karl. Er wandte sich an die Gruppe der gespannt lauschenden Hofleute und verkündete: »Prinzessin Geva und ihre Kinder sind unsere Gäste. Ihnen zu Ehren wird es heute abend ein Festmahl geben.«
»Aber Pferdefleisch werden wir deswegen hoffentlich nicht auftischen!« erklang eine vorlaute Stimme.
Karl bedachte seinen Sohn Ludwig mit einem strengen Blick. »Entschuldige dich bei der Prinzessin«, forderte er.
»Pferdefleisch ist lecker!« meldete sich Gerswind noch einmal zu Wort, ehe sie an Teles' Hand durch die Tür entschwand.
Lachen erfüllte den Saal. Karl wandte sich an seinen neuen Schreiber, den erst fünfzehnjährigen Einhard, den Alkuin vor wenigen Tagen aus der Abtei Fulda geholt und dem König zur Seite gestellt hatte. »Wir sollten das Sachsengesetz leicht abändern«, murmelte er ihm zu. »Setz etwas auf über Notzeiten. Dann sollte auch der Verzehr von Pferdefleisch gestattet sein.« Er wandte sich wieder dem Saal zu. »Wir werden es der Familie von Herzog Widukind an nichts mangeln lassen.«
»Die Familie von Herzog Widukind dankt«, erwiderte Geva, und wieder gemahnte ihn ihre Stimme derart an Bertrada, daß Karl ein Schauer über den Rücken lief. »Aber sie lehnt es ab, mit jenen das Brot zu brechen, die im Blut ihrer Angehörigen gebadet haben.«
»Der Süntel«, sprach Karl, und sein Blick wurde eiskalt. »In unserem Blut haben eure Leute gebadet, Prinzessin Geva. Fulda – eure Sachsen haben unser Kloster angegriffen, und wir haben nur mit knapper Not die Gebeine des ehrwürdigen Bonifatius retten und nach Hammelburg bringen
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