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Die Bibel

Die Bibel

Titel: Die Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nuernberger
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entweder zum Herrschen oder zum Dienen geboren werden, lehnte er Gleichheit und soziale Gerechtigkeit als naturwidrig ab.
    Da waren die ehemaligen Sklaven aus Ägypten Nietzsche um mehrere Jahrtausende voraus. Ihm sagen sie: Wenn nicht ein Despot, sondern Gott über uns herrscht, dann stehen Gleichheit und soziale Gerechtigkeit nicht im Widerspruch zu Kunst und Kultur, sondern bedingen einander.
    Den Beweis dieser These erbrachte Israel mit einer der größten kulturhistorischen Errungenschaften unserer Zivilisation: dem Sabbat.
Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht der Fremdling.
Und wieder geht es nicht ohne die stereotype Erinnerung:
Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst und der Herr,
dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und gestrecktem Arm
. Mit dem Sabbat kam ein völlig neues Verhältnis von Arbeit und Muße in die Welt. Sechs Tage in der Woche arbeitete Israel. Ganz Israel. Es gab keine Oberschicht, die der Arbeit enthoben war. Sechs Tage in der Woche gehörte ganz Israel zur Unterschicht. Aber am siebten Tag gehörte ganz Israel zur Oberschicht, war jeder und jede ein Herr und eine Herrin, sogar der Knecht und die Magd, ja sogar die Tiere.
    Am Sabbat erinnerte sich Israel seiner Geschichte. Man erzählte einander, las in alten Texten, lernte sie auswendig, versammelte sich öffentlich, um durch Gesang und kultische Handlungen die Taten Gottes zu rühmen. Alle versammelten sich. Alle kamen in den Genuss von Literatur und Kunst. Bildung für alle war nie beabsichtigt, sondern ergab sich als Nebenwirkung der gemeinsamen Sabbatheiligung. Durch sie lernte das Volk, dass es sich Voraussetzungen verdankt, die es selbst nicht geschaffen hat und selbst niemals schaffen kann. Seitdem stehen der Sabbat und der Sonntag stellvertretend für alles Humane, alles Soziale, alles Recht, das der von Natur aus barbarischen Wirklichkeit abgetrotzt wurde und immer wieder neu abgetrotzt werden muss.
    Der Sinn des Sabbats war nicht das Ausruhen, sondern die Alleinverehrung Gottes. Sie ist noch wichtiger als die Erinnerung an Ägypten.
Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen
. Dieser Alleinverehrungsanspruch ist nicht bloß ideell oder irgendwie spirituell gemeint, sondern ganz real und alltäglich. Darum gilt, was sonntags gesagt wird, auch werktags. Schärfer noch: Was am Sabbat gesagt und getan wird, gestaltet das gesamte Leben an den übrigen Tagen der Woche. Alle Bereiche des Lebens werden von den Inhalten und dem Sinn des Sabbats durchdrungen. Das wiederum hat eine Fülle von Vorschriften zur Folge, die sich bis auf die Behandlung des Viehs, den Bau von Dachterrassen, die Rasur, den Haarschnitt und die Zubereitung von Speisen erstrecken.
    Wer darüber erschrickt, muss sich an Israels Daseinszweck erinnern, die Verwirklichung der göttlichen Utopie. Woher soll Israel wissen, wie das geht? Dazu bedarf es einer Handlungsanleitung. Israel muss wissen, was von morgens bis abends zu tun ist, um das große Ziel zu erreichen, und eben dafür gibt es die Tora, das Gesetz. Daher scheut die göttliche «Regulierungswut» nicht einmal vor Anweisungen zur Beseitigung der Notdurft zurück und geht damit sogar dem ordentlichen deutschen Professor Hegel zu weit, der naserümpfend dekretierte: «Es wäre besser gewesen, wenn Gott den Juden Belehrung über die Unsterblichkeit der Seele gegeben hätte, als dass er sie lehrte, auf den Abtritt zu gehen.»
    Hier irrt der Professor, weil er vielleicht verdrängt, dass seine gedankenschweren Spekulationen über das Ziel der Geschichte ja eigentlich nur ein verspätetes Aha-Erlebnis sind. Dass die Geschichte ein Ziel kennt, ist schließlich eine Idee, auf die Israel das Copyright hat und nicht der deutsche Professor. Und dessen aschfahl-klapperdürre Zielvorgabe – der bleiche Weltgeist möge zu sich selber kommen – lässt ihn ebenfalls ein bisschen matt dastehen vor der saftig-sinnenfrohen Vorgabe der alten Steineklopfer-Truppe:
    Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der Herr der Heerscharen wird auf dem Berg allen Völkern ein Mahl von fetten, markigen Speisen bereiten, ein Mahl von alten, geläuterten Weinen. Er wird den Tod auf ewig

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