Die Bibel
grundlos? Nur scheinbar, sagen die Frommen. Wir kennen zwar den Grund für das menschliche Leidenmüssen nicht, aber Gott kenne ihn, und darum sollen wir es annehmen. Leiden habe stets einen verborgenen höheren Sinn.
Wir wissen: Das ist frommes Gewäsch. Wir kennen den Grund für Hiobs Leiden. Keine Spur von einem «höheren Sinn». Einer Wette zwischen Gott und dem Teufel hat Hiob sein Leiden zu verdanken! Hiob leidet für den göttlichen Zeitvertreib.
Weder Hiob noch seine Freunde wissen das. Aber während seine Freunde trotz Hiobs Leid weiter blind am althergebrachten Dogma festhalten – Gott ist gerecht, er belohnt die Guten, straft die Bösen –, kommen Hiob erste Zweifel. Er fragt: Nichts, gar nichts habe ich getan, was eine solche Strafe rechtfertigte, warum also muss ich leiden?
«Aber irgendetwas muss es geben, etwas, wovon wir nichts wissen, was du dir vielleicht selbst nicht eingestehst und der Grund der Strafe ist», sagen die Freunde. «Ihr seid mir schöne Freunde», empört sich Hiob, «dass ihr mir unterstellt, etwas verbrochen zu haben, nur weil ich leide.»
Dieser Aberglaube, dass sich an dem Glück eines Menschen dessen Erwähltsein ablesen lasse, dass Glück und Gelingen ein Zeichen für Gottes Segen sei und Leid und Misslingen ein Zeichen für Verworfenheit und göttliche Strafe, wird von Hiob verabschiedet, viele Jahrhunderte später aber vom Calvinismus wieder eingeführt und unbeabsichtigt zum Motor des Kapitalismus gemacht.
Wer arm ist, ist selber schuld. Tüchtig sein, rastlos beten und arbeiten von früh bis spät, die Früchte der Arbeit und des Gebets nicht genießen, sondern sie wieder in den Hof, den Handwerksbetrieb, die kleine Fabrik investieren und an die Kinder vererben, die es genauso machen – daraus erwachsen später große Vermögen und große Unternehmen, die von den Eignern als «Gottes Segen» verstanden werden.
Hiob dagegen glaubt nicht mehr, dass Glück und Reichtum ein Zeichen für die besondere Zuwendung Gottes seien.
Warum leben denn die Gottlosen, werden alt, groß und stark? … Ihre Häuser sind in Frieden, ohne Furcht; die Rute Gottes schlägt sie nicht. … Der eine stirbt im Vollbesitz seines Glücks, vollkommen ruhig und sorglos; seine Tröge fließen über. … Der andere aber stirbt mit betrübter Seele und hat nie Gutes geschmeckt: Gemeinsam liegen sie im Staube, und Gewürm bedeckt sie beide.
Das Leben jedes Einzelnen – offenbar wird es von Gott ausgewürfelt oder ausgelost, und offenbar hat Gott die Lostrommel mit mehr Nieten als Treffern bestückt.
Hiob erkennt einen Gott, der sich dem menschlichen Verstehen entzieht, von dem nicht nur das Gute kommt, sondern auch das Böse. Das beklagt Hiob. Dafür verlangt er von Gott eine Erklärung. Dieser aber verweigert die Antwort. Nur wir wissen: Die Antwort wäre für Gott peinlich. Statt Hiob zu antworten, fährt Gott ihm donnernd übers Maul. Wie ein tyrannischer Gewaltherrscher spricht er aus dem Gewittersturm zu Hiob und faucht ihn an:
Wer verfinstert da Gottes Rat mit seinen unverständigen Reden? … Will der Tadler mit dem Allmächtigen hadern?
Und dann ergeht eine lange, einschüchternde Rede an Hiob,eine Rede, die eine einzige Machtdemonstration ist, in der Gott Hiob im Stil eines Mafiabosses zu verstehen gibt, wer hier der Herr ist und wer der Wurm. Dieser Gewaltherrscher ist dem Wurm, den er zertritt, keine Rechenschaft schuldig. Seitenlang spricht Gott nur von seiner Macht. Und nicht ein einziges Mal von seiner Gerechtigkeit.
Am Ende scheint Hiob zu resignieren und sich dieser Macht zu beugen. Obwohl er sich doch wirklich keiner Schuld bewusst ist, will er
im Staube und in der Asche Buße tun
. Am Aschermittwoch erinnert sich die Christenheit daran. Im Bußgottesdienst wird dem Sünder das Aschenkreuz auf die Stirn gebracht.
Aber bis heute weiß die Christenheit nicht so recht, wofür Hiob büßte. Meistens hat Hiobs Geschichte, wie die von Isaaks Beinahe-Opferung, im Lauf der Jahrhunderte dazu herhalten müssen, bei kaiserlichen und kirchlichen Untertanen gehorsame Leidensbereitschaft und hündischen Untertanengeist zu erzeugen.
Der jüdische Umgang mit dieser Geschichte war klüger. Die Juden drangen damit zu einem neuen Gottesbild vor. Mit einfacher Krämerlogik ist Gott nicht beizukommen, sagt diese Geschichte. Es ist wahr: Alles kommt von Gott, nicht nur das Gute, sondern auch das Böse, und seine Verteilung folgt nicht dem Schema «Lohn für die Guten, Strafe für
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