Die Bibel für Eilige
Achsenzeit, und bezieht den Zeitraum zwischen 800 v. Chr. und 200 n. Chr. ein. In seiner Schrift »Vom Ursprung und
Ziel der Geschichte« (1955) heißt es:
»Diese Achse der Weltgeschichte scheint nun rund um 500 vor Christus zu liegen, in dem zwischen 800 und 200 stattfindenden
geistigen Prozess. Dort liegt der tiefste Einschnitt der Geschichte. Es entstand der Mensch, mit dem wir bis heute leben.
[…]
In dieser Zeit drängt sich Außerordentliches zusammen.
In China lebten Konfuzius und Laotse, entstanden alle Richtungen der chinesischen Philosophie, dachten Mo-Ti, Tschuang-Tse,
Lie-Tse und ungezählte andere, – in Indien entstanden die Upanischaden, lebte Buddha, wurden alle philosophischen Möglichkeiten
bis zur Skepsis und bis zum Materialismus, bis zur Sophistik und zum Nihilismus, wie in China, entwickelt, – in Iran lehrte
Zarathustra das fordernde Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, – in Palästina traten die Propheten auf von Elias über
Jesaias und Jeremias bis zu Deuterojesaias, – Griechenland sah Homer, die Philosophen – Parmenides, Heraklit, Plato – und
die Tragiker, Thukydides und Archimedes. Alles, was durch solche Namen |84| nur angedeutet ist, erwuchs in diesen wenigen Jahrhunderten annähernd gleichzeitig in China, in Indien und dem Abendland,
ohne dass sie gegenseitig voneinander wussten.
Das Neue dieses Zeitalters ist in allen drei Welten, dass der Mensch sich des Seins im Ganzen, seiner selbst und seiner Grenzen
bewusst wird. Er erfährt das Furchtbare der Welt und die eigene Ohnmacht. Er stellt radikale Fragen. Er drängt vor dem Abgrund
auf Befreiung und Erlösung. Indem er mit Bewusstsein seine Grenzen erfasst, steckt er sich die höchsten Ziele. Er erfährt
die Unbedingtheit in der Tiefe des Selbstseins und in der Klarheit der Transzendenz.«
Karl Jaspers hat die Propheten in einen weltgeschichtlichen geistigen Kontext gestellt und verdeutlicht, wie sehr wir bis
heute von dieser Aufbruchszeit zehren: von den alttestamentlichen Propheten, von Homer, den griechischen Tragödiendichtern,
von Buddha, Konfuzius und Laotse. Angesichts der Herausforderungen an der Jahrtausendwende hat Hans Küng den Versuch unternommen,
daran anzuknüpfen und ein »Weltethos« zu entwerfen, ein geistig-moralisches Rückgrat für eine überlebensfähige Welt, die jetzt
erst erkennbar zu der
einen
Welt wird.
Die großen Propheten und ihr Ethos werden geradezu »zukunftskonstitutiv«.
Biblische Prophetie ist ein sehr komplexes Phänomen. Rufer, Gottesmann, Seher – sie alle können subsumiert werden unter dem
Wort »Nabi«. Das kann heißen aktiv »der Rufer« oder passiv »der Gerufene«. Ein Nabi ist beides: Rufer und Gerufener, der gerufene
Rufer und der berufene Rufer.
Man kann drei große Gruppen unterscheiden: Da sind zunächst die Prophetengeschichten, die sich in den Geschichtsbüchern 1.
Samuel bis 2. Könige finden. Über Samuel und Nathan bis zu Micha ben Jimla, Elia und Elisa. Sie stehen in einem engen Kontakt
zum Königtum und sind eingewoben in die dramatische Geschichte der Teilung des |85| Landes in Israel und Juda, in die beiden Zentren Jerusalem und Samaria, verquickt in die jeweiligen politischen und religiösen
Auseinandersetzungen, sowohl mit den Großmächten des Nordens und des Südens, wie in Konflikte mit den Herrschaftskulturen
und -kulten – vom Tigris und vom Nil.
Sie sind Stützen und Kritiker der Könige zugleich. Könige fragen sie um Rat – oder sie mischen sich ungefragt ein. Mit Lebensrisiko.
Es treten auch Gruppen der Propheten auf, »Söhne der Propheten«. Dies sind zumeist Ekstatiker, die im Rausch Gesichte haben,
die von Träumen erfüllt sind, sich in Gruppen organisieren, in denen sie sich methodisch in Ekstase versetzen und darin übersinnliche
Fähigkeiten beanspruchen. Aus der Ekstase heraus ergeht ein Wort.
Bei Elia erfahren wir von Konflikten – todbringenden! – zwischen den (Groß-)Gruppen ekstatischer Wahrheitspropheten und dem
einzelnen
berufenen
Propheten.
Erstere sind besoldet und künden dem König das Erwünschte (1. Könige 18,19–40); letzterer legt die Finger in die Wunden des
Unrechts und lebt lebensgefährlich.
Es geht z. B. um einen Weinberg in der Nähe des Königspalastes (1. Könige 21).
Die Königin organisiert ein Verbrechen gegen den renitenten Weinbergbesitzer Naboth, der dem König seinen Weinberg nicht abtreten
will. Und Elia kündigt dem König das
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