Die Bibel für Eilige
zum Ruhm
Mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.
Jesus ist nicht drei Tage nach der Leichenstarre wiederbelebt worden und aus dem Grabe auferstanden, um nach 40 Tagen die
Schwerkraft zu verlieren und in den blauen Himmel aufzusteigen. Er hat sich weder ins Nichts aufgelöst, noch sitzt er nun
zur rechten Gottes auf der Herrscher- und Richterbank im Himmel der Schwerelosigkeit.
Jesus selbst wusste nicht, dass er »der Sohn Gottes« ist. Er entzog sich den Versuchen, ihn zu vergöttlichen. Er gehörte zum
Schülerkreis des Johannes, den man »den Täufer« genannt hat, der möglicherweise zu der Essenersekte gehörte, die am Toten
Meer ihr asketisches »Kloster«-Leben führte. Dort hat er in einem religiösen Bußorden die Schriftauslegung gelernt und wirkte
zunächst als ein Schüler des Johannes, der in prophetischer Tradition stand und als »Prediger in der Wüste« charakterisiert
wird. Bei seiner Taufe durch Johannes erfolgte eine Berufung, eine Art Berufungsvision, eine Stimme kam vom Himmel: »Dies
ist mein lieber Sohn. Den sollt ihr hören.«
Jesus scharte eine Gruppe von 12 berufenen Jüngern um sich. Sie stammten aus dem einfachen Volk, keiner aus der Oberschicht.
Nicht gebildet waren sie, aber lebenserfahren. Jesus bediente sich für seine Botschaft einer einfachen Gleichnissprache, deren
Stoff jedermann verständlich war. Er verdichtete seine Erkenntnisse zu Sprüchen, die zu Spruchsammlungen zusammengetragen
oder an Ereignisse |157| bzw. Gleichnisse als Interpretamente angehängt wurden. Er wirkte Wunder, die nicht zuerst als Demonstrationswunder seiner
göttlichen Kraft gedacht waren, sondern Hilfshandlungen für Hungernde, seelisch und körperlich Kranke und für tragisch Verstorbene.
Er wandte sich in besonderer Weise den sozial, religiös und politisch Ausgegrenzten, Verfemten, Verlorenen, Übersehenen, Gemiedenen
zu. Gegen alle religiösen Vorschriften ging er zu denen »ganz unten«, ließ sich von einer Hure die Füße salben, berührte Pestkranke,
kehrte bei Kollaborateuren ein.
In prophetischer Tradition geißelt er Rechthaberei, Heuchelei und Veräußerlichung der Religion. Wie den Propheten ging es
ihm um die »Beschneidung der Herzen«, nicht bloß um den Ritus der Penis-Vorhautbeschneidung. Er nahm keine Rücksicht – auch
nicht auf sich selber. Was ihn drängte: zu sagen, was ist; zu zeigen, was übersehen wird; zu hören, was überhört wird.
Er wurde in Gespräche mit Pharisäern und Schriftgelehrten verwickelt. Man sprach ihm mehrere Hoheitstitel zu, denen er sich
entzog.
Mit seinen Jüngern zog er über Land, führte Lehrgespräche und lebte in ungesicherter kommunitärer Gemeinschaft.
In einem Komplott zwischen Synedrion, der obersten jüdischen Verwaltungs- und Gerichtsbehörde, und römischer Besatzungsmacht
wurde er zum einen wegen Gotteslästerung und zum anderen wegen Anstiftung zum Aufruhr zum Tode verurteilt.
Er war wie ein Volksheld gefeiert worden, sodann verraten, verhaftet, verhöhnt, verurteilt, gefoltert, gekreuzigt. Zwischen
»Hosianna!« und »Kreuzige!« liegen wenige Tage; vermutlich haben beides dieselben Leute geschrieen.
Die ihn betrauern und nach jüdischem Ritus einbalsamieren wollen, finden ein leeres Grab vor. Sie haben – ebenso |158| wie die sich aus Angst eingeschlossenen Jünger – eine Vision, in der ihnen der Gekreuzigte und zu Grabe Gelegte »als Auferstandener«
begegnet. Sie hören die Botschaft, dass er nicht im Reich der Toten geblieben, sondern von Gott auferweckt ist und mit ihnen
sein wird, sie ermutigt, seine Botschaft (seine Sache!) weiterzutragen, – zunächst zurück in den galiläischen Alltag, sodann
in die ganze Welt. Der so genannte Sendungsbefehl oder »Missionsbefehl« (Matthäus 28,18–20; Markus 16,15) wird zum Ausgangspunkt
einer Weltbewegung, die für viele Christen der Frühzeit Martyrium bedeutet, später als Staatsreligion auch mörderische Intoleranz
einschloss.
Die vier Jesus-Erzählungen – subsumiert unter dem Wort ›Evangelien‹ = gute Nachrichten – sind literarisch gestaltete Tendenzschriften,
die das Leben des historischen Jesus erzählend deuten: vom Ende am Kreuz und vom Neuanfang zu Ostern her interpretieren sie
sein Leben, seine Worte und Taten und machen so den Verkünder der Botschaft zum Gegenstand der Verkündigung.
Dabei setzen sie unterschiedliche Akzente, verarbeiten verschiedene Quellen, stellen ihr ›Material‹ in spezifische
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