Die Bibel nach Biff
beim letzten Mal im Dorf um Almosen gebeten haben, hat eine Frau Nummer Vierzehn und mir ein tausend Jahre altes Ei gegeben. Das ist mir nicht bekommen.«
»Kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich glaube, man sollte Eier nach, äh, zweihundert Jahren oder so nicht mehr essen.«
»Sie vergraben sie, lassen sie liegen, dann graben sie die Eier wieder aus.«
»Kann ich dich deswegen nicht sehen?«
»Nein, das liegt an der Meditation. Ich habe alles losgelassen. Ich habe die absolute Freiheit erlangt.«
»Du bist schon frei, seit wir Galiläa hinter uns gelassen haben.«
»Das ist nicht das Gleiche. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich unser Volk nicht von der römischen Herrschaft befreien kann.«
»Wieso nicht?«
»Weil das nicht wahre Freiheit ist. Jede Freiheit, die man gewähren kann, lässt sich auch wieder nehmen. Moses musste den Pharao nicht bitten, unser Volk freizulassen. Unser Volk musste nicht von den Babyloniern befreit werden, und es muss auch von den Römern nicht befreit werden. Ich kann den Leuten keine Freiheit schenken. Die Freiheit ist in ihren Herzen, sie müssen sie nur suchen.«
»Willst du damit etwa sagen, dass du gar nicht der Messias bist?«
»Wie könnte ich es sein? Wie kann ein demütiger Mensch annehmen, er könnte etwas gewähren, was zu gewähren ihm nicht zusteht?«
»Wenn nicht du, wer dann, Josua? Denk an alle Engel und Wunder, an deine Fähigkeit zu heilen und zu trösten? Wer sonst ist erwählt, wenn nicht du?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß überhaupt nichts. Ich wollte dir Lebewohl sagen. Ich werde bei dir sein, als Teil des großen Ganzen, aber du wirst mich erst wieder sehen, wenn du erleuchtet bist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich das anfühlt, Biff. Man ist alles, man liebt alles, man braucht nichts.«
»Okay, dann brauchst du auch deine Schuhe nicht mehr, oder?«
»Besitz steht zwischen dir und deiner Freiheit.«
»Klingt für mich wie >ja<. Aber tu mir einen Gefallen, okay?«
»Natürlich.«
»Hör dir an, was Kaspar dir morgen früh zu sagen hat.« Und gib mir Zeit, eine intelligente Lösung für jemanden zu finden, der unsichtbar und verrückt ist, dachte ich bei mir. Josua war unschuldig, aber er war nicht dumm. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um den Messias zu retten, damit er alle anderen retten konnte.
»Ich gehe in den Tempel und sitze. Dich sehe ich morgen früh.«
»Es sei denn, ich sehe dich vorher.«
»Witzig«, sagte Josh.
Kaspar sah an diesem Morgen ganz besonders alt aus. Seine persönliche Unterkunft bestand aus einer Zelle, die nicht größer war als meine, aber sie lag gleich neben dem Teeraum und hatte eine Tür, die er schließen konnte. Morgens war es kalt im Kloster, und ich konnte unserer beider Atem sehen, als Kaspar Teewasser kochte. Bald schon sah ich eine dritte Atemwolke am Tisch, obwohl dort niemand saß.
»Guten Morgen, Josua«, sagte Kaspar. »Hast du geschlafen, oder spürst du kein Bedürfnis mehr danach?«
»Nein, ich brauche keinen Schlaf«, sagte Josh.
»Du musst entschuldigen, wenn es Einundzwanzig und mich noch nach Nahrung drängt.«
Kaspar schenkte uns etwas Tee ein und nahm zwei Reisbälle von einem Regal, auf dem er den Tee verwahrte. Einen davon hielt er mir hin, und ich nahm ihn mir.
»Ich habe keine Schale dabei«, sagte ich unsicher, weil ich fürchtete, Kaspar zu verärgern. Woher hätte ich es denn wissen sollen? Die Mönche frühstückten immer gemeinsam. Das hier war außer der Reihe.
»Deine Hände sind sauber«, sagte Kaspar. Dann trank er seinen Tee und saß eine Weile friedlich da, er sagte kein Wort. Bald schon wurde es im Zimmer wärmer von der Kohlenpfanne, über der Kaspar das Teewasser erwärmt hatte, und ich konnte Josuas Atem nicht mehr sehen. Offenbar war sein gastrisches Leiden, das ihm das tausend Jahre alte Ei beschert hatte, überwunden. Langsam wurde ich unruhig, denn Nummer Drei erwartete Josua und mich auf dem Klosterhof. Eben wollte ich etwas sagen, als Kaspar einen Finger hob und mir Schweigen gebot.
»Josua«, sagte Kaspar, »weißt du, was ein Bodhisattva ist?«
»Nein, Meister, das weiß ich nicht.«
»Gautama Buddha war ein Bodhisattva. Auch die siebenundzwanzig Patriarchen seit Gautama Buddha waren Bodhisattvas. Manche sagen, auch ich sei ein Bodhisattva, aber ich selbst würde es nie behaupten.«
»Es gibt keine Buddhas«, sagte Josua.
»Stimmt«, sagte Kaspar, »aber wenn man die Ebene Buddhas erreicht und feststellt, dass es keinen Buddha gibt,
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