Die Bibel nach Biff
im Kloster waren, und nachdem wir die Mönchszellen gesehen hatten, waren wir sicher, dass der monotone Gesang aus mindestens zwanzig Stimmen bestand, obwohl es in der Höhle so sehr hallte, dass man nicht sagen konnte, ob nur einer oder tausend Mann daran beteiligt waren. Als wir uns der Statue näherten und festzustellen versuchten, aus welcher Sorte Stein sie denn gehauen war, schlug sie die Augen auf.
»Bist du es, Josua?«, sagte die Statue in makellosem Aramäisch.
»Ja«, sagte Josua.
»Und wer ist das?«
»Das ist mein Freund Biff.«
»Von jetzt an heißt er Einundzwanzig, wenn man ihn rufen muss, und du bist Zweiundzwanzig. Solange ihr hier seid, habt ihr keine Namen.« Natürlich war die Statue keine Statue, sondern Kaspar. Das rötlich gelbe Licht der Kerzen und das gänzliche Fehlen von Bewegung oder Mienenspiel hatten den Anschein erweckt, er sei aus Stein. Vermutlich haben wir uns auch in die Irre führen lassen, weil wir einen Chinesen erwarteten. Dieser Mann sah aus, als käme er aus Indien. Seine Haut war noch dunkler als unsere, und er trug einen roten Punkt auf der Stirn, wie wir ihn bei indischen Kaufleuten in Kabul und Antiochia gesehen hatten. Es war schwer zu sagen, wie alt er sein mochte, da er weder Haar noch Bart hatte und keine einzige Falte auf seinem Gesicht zu sehen war.
»Er ist der Messias«, sagte ich. »Der Sohn Gottes. Ihr habt ihn bei seiner Geburt besucht.«
Vollkommen reglos sagte er: »Der Messias muss sterben, wenn du lernen willst. Töte ihn morgen.«
»Wie bitte?«, sagte ich.
»Morgen werdet ihr lernen. Gebt ihnen zu essen.«
Ein anderer Mönch, der fast genauso aussah wie der Erste, trat aus dem Dunkel und nahm Josua bei der Schulter. Er führte uns aus dem Kapellenraum zu den Zellen zurück, wo er Josua und mir unsere Quartiere zeigte. Er nahm unsere Beutel und ging. Ein paar Minuten später kam er mit einer Schale Reis und einer Tasse dünnem Tee für jeden von uns wieder. Dann ging er, ohne auch nur ein einziges Wort gesprochen zu haben.
»Geschwätziger kleiner Bursche«, sagte ich.
Josua schüttete etwas Reis in seinen Mund und verzog das Gesicht. Das Zeug war kalt und ungesalzen. »Sollte ich mir Sorgen darum machen, was er gesagt hat? Dass der Messias morgen stirbt? Was meinst du?«
»Weißt du noch, wie du nie wirklich sicher warst, ob du der Messias bist oder nicht?«
»Ja, klar.«
»Falls sie dich morgen früh nicht gleich als Erstes erschlagen, solltest du ihnen genau das sagen.«
Am nächsten Morgen weckte uns Mönch Nummer Sieben, indem er Josua und mir mit einem Bambusstock an die Füße schlug. Man muss Nummer Sieben wohl zugute halten, dass er lächelte, als ich mir endlich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte - ein schwacher Trost. Nummer Sieben war klein und dünn, mit hohen Wangenknochen und weit auseinander stehenden Augen. Er trug eine lange, orangefarbene Robe aus grobem Leinen und keine Schuhe. Barthaare und Schädel waren geschoren, bis auf einen winzigen Bürzel, der ihm am Hinterkopf zusammengebunden war. Er mochte siebzehn oder fünfunddreißig Jahre alt sein, unmöglich zu beurteilen. (Solltet ihr euch fragen, wie die Mönche Zwei bis Sechs und Acht bis Zwanzig aussahen, stellt euch Mönch Nummer Sieben einfach neunzehnmal vor. So zumindest schien es mir in den ersten paar Monaten. Sicher hätte diese Beschreibung auch auf Josua und mich - die Mönche Einundzwanzig und Zweiundzwanzig - zugetroffen, nur waren wir größer und hatten rundere Augen. Wenn man versucht, die Fesseln seines Egos abzustreifen, ist ein individuelles Erscheinungsbild nur hinderlich. Deshalb bezeichnen sie ihr Erscheinungsbild als »Uniform«. Aber ich greife vor ...
Nummer Sieben führte uns zu einem Fenster, das offensichtlich als Latrine verwendet wurde und wartete, bis wir uns erleichtert hatten, dann führte er uns in eine Kammer, in der
Kaspar saß, die Beine auf schier unmögliche Art und Weise gekreuzt. Vor ihm stand ein kleiner Tisch. Der Mönch verneigte sich und ging hinaus, und Kaspar sagte, wir sollten uns setzen, wiederum in unserer Muttersprache Aramäisch.
Wir saßen ihm gegenüber am Boden ... nein, das stimmt nicht, eigentlich saßen wir nicht, wir lagen seitlich auf dem Boden und stützten uns auf unsere Ellbogen, wie wir es auch zu Hause am Tisch getan hätten. Wir setzten uns erst aufrecht, als Kaspar einen Bambusstock unter dem Tisch hervorholte und uns beiden mit einer Bewegung - schnell wie eine Kobra - je einen Hieb an den
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