Die Bibel Verstehen
Gottes Liebe zu uns wider. Während uns die menschliche Liebe zugleich verzaubert und uns vor Sehnsucht krank macht, während wir unsere menschliche Liebe immer wieder auch als brüchig erfahren, ist Gottes Liebe ohne Vermischungen mit Besitzansprüchen. Es ist die Liebe, die allein letztlich unsere tiefste Sehnsucht zu erfüllen vermag.
I
n der Nacht auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt. Ihn suchte ich, doch ich fand ihn nicht.
So will ich denn aufstehen, die Stadt zu durchstreifen, die Straßen und Plätze, ihn suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn, doch ich fand ihn nicht.
Die Wächter trafen mich an auf ihrer Runde durch die Stadt. Habt ihr, den meine Seele liebt, gesehen?
Kaum war ich an ihnen vorüber, da fand ich ihn, den meine Seele liebt.
Ich halte ihn fest und will ihn nicht lassen, bis ich ihn ins Haus meiner Mutter gebracht, in die Kammer derer, die mich geboren hat.
Ich beschwöre euch, Jerusalems Töchter, bei den Gazellen oder den Hirschkühen der Flur:
Stört sie nicht und weckt sie nicht auf, die Liebe, bis es ihr selbst gefällt!
HOHESLIED 3,1–5
19
WEISHEIT: WEGGEFÄHRTIN DES MENSCHEN
Das Buch der Weisheit ist das jüngste Buch des Alten Testamentes. Es ist zwischen 80 und 30 vor Christus in Alexandria geschrieben worden, dem Zentrum hellenistischer Kultur und Wissenschaft. Der Autor verbindet die jüdische Tradition mit griechischer Weisheit. So war dieses Buch vor allem bei den Diasporajuden sehr beliebt. Dieser Weisheitslehrer hat einen Blick für die Schönheit der Natur. Aber er ist auch stolz auf seine jüdische Geschichte und deutet die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk im Dialog mit griechischer Philosophie. Das Buch der Weisheit ist eine Werbeschrift. Sie wirbt bei den Juden, die in der Diaspora leben, für die Weisheit, die Gott seinem Volk geschenkt hat. Wer sich auf die Weisheit einlässt, der kann sein Leben gut bewältigen, und er wird sicher ans Ziel gelangen. Das Buch der Weisheit ist eine Lebenshilfe aus dem Glauben für Juden, die in der Fremde in ihrem Glauben angefochten waren.
Die Weisheit tritt in diesem Buch oft als Person auf, als Frau Weisheit. Die Weisheit ist Tochter Gottes und Weggefährtin des Menschen, Helferin und Trösterin in der Not. Die Personifizierung der Weisheit war wohl auch der Hintergrund des Prologs im Johannesevangelium: «Im Anfang war derLogos (das Wort)» (Joh 1,1). Der Logos des Johannesprologs übernimmt viele Aspekte der Weisheit. So wie die Weisheit umhergeht, «um die zu suchen, die ihrer würdig sind» (Weish 6,16), so ist der fleischgewordene Logos in Jesus Christus auf dieser Welt gewandert, um den Menschen die Augen zu öffnen für das Geheimnis Gottes. Gott ist die eigentliche Wirklichkeit. Weise ist nur der, der Gott in allem findet. Die Weisheit ist die größte Gabe Gottes an den Menschen. «Sie ist ein Abglanz des ewigen Lichts und ein makelloser Spiegel des göttlichen Wirkens und ein Abbild seiner Güte» (Weish 7,26). Sie ist menschenfreundlich und geleitet den Menschen durch alle Anfechtungen seines Lebens sicher hindurch. In Weisheit hat Gott die Welt geschaffen. So versteht nur der die Welt, der sich von der Weisheit als Lebensgefährtin begleiten lässt. In der Weisheit als Person tritt Gott konkret in das Leben der Menschen ein und lenkt es. Die Weisheit ist Bild der heilenden und liebenden Nähe Gottes, Bild des menschenfreundlichen und barmherzigen Gottes, der die Menschen auf ihrem Weg nicht allein lässt.
Das Buch der Weisheit war für die Juden in der Diaspora, die in ihrem Glauben verunsichert waren, eine Trostschrift. Es möchte auch für den heutigen Menschen, der nach Orientierung sucht in einer orientierungslosen Zeit, Wegweiser zum wahren Leben sein. Die Freundschaft mit der Weisheit bringt reine Freude «und die Arbeiten ihrer Hände unerschöpflichenReichtum» (Weish 8,18). Sie führt uns sicher über die Schwelle des Todes in das unvergängliche und ewige Leben bei Gott.
G
ott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude an dem Untergang der Lebenden. Hat er doch alles zum Sein erschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt. Es ist kein verderbliches Gift in ihnen, noch gibt es auf Erden einer Herrschaft der Unterwelt. Denn die Gerechtigkeit ist unsterblich.
WEISHEIT 1,13–15
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JESUS SIRACH: WIE UNSER LEBEN GELINGEN KANN
Das Buch Jesus Sirach hat Ähnlichkeiten mit dem Buch der Sprichwörter und ist teilweise davon abhängig.
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