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Die Bibel Verstehen

Die Bibel Verstehen

Titel: Die Bibel Verstehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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was Gott ihm gerade jetzt schenkt. Der junge Mann soll sich seiner Jugend freuen. Denn die Tage des Alters kommen von alleine, «von denen du sagen wirst: Sie gefallen mir nicht!» (Koh 12,1).
    Mit seiner Skepsis, die Absichten Gottes erkennen zu können, fordert Kohelet uns auch heute heraus, unser Sprechen von Gott und vom Menschen zu überprüfen, damit wir nicht leichtfertig nur Worte wiederholen. Mit seiner radikalen Diesseitigkeit und seinem Verständnis des Todes stellt er auch uns vor die Frage, wie wir unser Leben hier mit seiner Begrenzung durch den Tod ernst nehmen und zugleich an die Auferstehung glauben können. Kohelet hat damals versucht, die modernen Auffassungen des Hellenismus zu übernehmen, ohne seine eigene Identität als Jude preisgeben zu müssen. Sein Dialog mit den griechischen Philosophen der kynischen, epikureischen und stoischen Richtung lädt auch uns ein, im Dialog mit der Weisheit der Welt und mit der Weisheit anderer Religionen unser Christsein neu zu verstehen und zu formulieren.
     
     

A
     
lles hat seine Stunde und für jedes Vorhaben unter dem Himmel gibt es eine Zeit:
    eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit, die Pflanzen abzuernten,
    eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Einreißen und eine Zeit zum Bauen,
    eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit zum Klagen und eine Zeit zum Tanzen,
    eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, sich der Umarmung zu enthalten,
    eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Aufbewahren und eine Zeit zum Wegwerfen,
    eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Nähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden,
    eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden.
    KOHELET 3,1–8

18
DAS HOHELIED DER LIEBE
     
    Das Hohelied ist eine Sammlung von wunderbaren Liebesliedern, die das Geheimnis der Liebe zwischen Mann und Frau in unübertroffenen Bildern schildern. Die sexuelle und erotische Liebe wird hier als Geschenk Gottes an den Menschen gesehen. Sie verzaubert Mann und Frau. Es ist nicht die eheliche Liebe, die hier besungen wird, sondern die freie Liebe zwischen Mann und Frau. Ohne moralischen Zeigefinger wird hier die sexuelle Liebe positiv gesehen.
    Vermutlich war der Anlass zu diesem Buch eine Auseinandersetzung im Judentum über den Sinn der Liebe. Die Bildersprache des Hohenliedes schöpft aus Liebesliedern Ägyptens, Syriens, Mesopotamiens und Palästinas. Attribute vorderasiatischer Liebesgöttinnen werden für die Beschreibung der Braut herangezogen. Da wird die Geliebte in den Bildern von Uneinnehmbarkeit geschildert. Die Geliebte erscheint wie eine Göttin, unnahbar und zugleich anziehend. Der Geliebte verzehrt sich in Sehnsucht nach ihr. Ähnlich faszinierend wird der Geliebte beschrieben, als König und als Hirte, der die Frau zum Leben und zu ihrer wahren Würde führt, der die Frau krank macht vor Liebe. Offensichtlichkann man die Liebe zwischen Mann und Frau nur besingen, indem man die göttliche Dimension dieser Liebe entdeckt.
    Die Mystik aller Zeiten, schon die jüdische Mystik, aber auch die christliche Mystik, angefangen von Origenes über Gregor den Großen, Bernhard von Clairvaux und Johannes vom Kreuz, haben die Liebeslieder zwischen Mann und Frau als Ausdruck der Liebe Gottes zum Menschen und der Liebessehnsucht des Menschen nach Gott verstanden. Johannes vom Kreuz hat sich auf seinem Sterbebett das Hohelied der Liebe vorlesen lassen. Da ging für ihn in Erfüllung, was das Hohelied besingt: «Ja, stark wie der Tod ist die Liebe … Gewaltige Wasser können die Liebe nicht löschen» (Hld 8,6f). Seither fanden Liebende ihre Liebe in den wunderbaren Gedichten dieses biblischen Buches am schönsten ausgedrückt: «Du hast mich verzaubert, meine Schwester Braut; verzaubert mit einem einzigen deiner Blicke» (Hld 4,9).
    Die Liebe ist das größte Geschenk, das Gott dem Menschen in die Hand gegeben hat. Der Mensch kann sie nur in Dankbarkeit genießen und zugleich in Ehrfurcht und Achtsamkeit für diese göttliche Gabe. In der Liebe zwischen Mann und Frau darf der Mensch etwas erahnen vom Wunder der göttlichen Liebe, der den Menschen so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn gab, «damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat» (Joh 3,16).
    Jede menschliche Liebe spiegelt

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