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Die Bibel Verstehen

Die Bibel Verstehen

Titel: Die Bibel Verstehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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gegenüber Ijob, weil er sich für gerecht hält. Aber auch er vermag Ijob nicht von seiner Schuld zu überzeugen.
    Nach den vergeblichen Versuchen der Freunde spricht nun Gott selbst zu Ijob. Gott erklärt nicht, warum Ijob leiden muss. Gott verzichtet auf alle theologische Argumentation. Er zeigt Ijob nur die Größe der Schöpfung. Er verweist auf die Kraft des Wildstiers und des Pferdes, auf das mächtige Nilpferd und das Krokodil. Ijob fällt bewundernd nieder vor der Größe Gottes und bekennt: «Vom Hörensagen nur hab ich von dir gewusst; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. Drum leiste Widerruf ich und bereue, in Staub und Asche!» (Ijob 42,5f). Gott tadelt die vier Freunde: «weil ihr über mich nicht die Wahrheit gesprochen habt wie mein KnechtIjob» (Ijob 42,7). Er verteidigt also Ijob. Es geht nicht um Schuld und Strafe. Es geht darum, Gottes Wirken zu bestaunen und vor der Unbegreiflichkeit seines Handelns niederzufallen.
    Wer in Leid gerät, muss nicht die Schuld bei sich selber suchen. Gott rechtfertigt unsere Klage im Leid. Wir dürfen Gott alles sagen, ohne uns dafür entschuldigen zu müssen. Doch wir sollen Gott Gott sein lassen und aufhören, die Ursache des Leids zu ergründen. Gott wendet das Schicksal Ijobs. Er mehrt seinen Besitz, schenkt ihm noch sieben Söhne und drei Töchter. So ist das Buch Ijob ein Hoffnungsbuch für alle, die an ihrem Leiden zu zerbrechen drohen.
    In den Klagen Ijobs schenkt uns dieses Buch Worte, mit denen wir dann, wenn wir im Leid verstummt sind, unsere Not und Verzweiflung ausdrücken können. Es sind Worte voller Aggression und Bitterkeit. Wir trauen uns solche Worte oft gar nicht auszusprechen. Wir meinen, wir müssten uns sofort in Gottes Willen ergeben. Das Buch Ijob erlaubt uns, zu klagen und zu schreien und zu rebellieren. Durch die Aggressionen hindurch aber sollen wir uns von Gott in das Geheimnis seiner unbegreiflichen Liebe führen lassen, vor dem wir uns nur anbetend und stumm verneigen können. In der Unbegreiflichkeit der Liebe Gottes wird die Unbegreiflichkeit des Leids aufgehoben und verwandelt.

15
DAS BUCH DER PSALMEN
     
    Der Psalter ist das Gebetbuch der Bibel. In den Psalmen haben die frommen Juden ihre Beziehung zu Gott zum Ausdruck gebracht. Und sie haben Gott alles hingehalten, was sie berührt. Sie haben Gott gelobt für seine Schöpfung und für seine Wohltaten in der Geschichte. Sie haben vor Gott geklagt, wenn es ihnen schlecht ging. Sie haben zu ihm in ihrer Not gefleht, er möge ihnen doch helfen und sie aus allen Bedrängnissen befreien. Sie haben vor Gott die Geschichte meditiert und darin ein Bild für die eigene Lebensgeschichte gesehen. Sie haben ihre Sehnsucht nach Gott und ihr Ringen mit ihm in wunderbaren Gedichten beschrieben.
    Jesus ist in dieser Psalmenfrömmigkeit aufgewachsen. Er hat viele Psalmen auswendig gelernt. Am Kreuz betet er – so berichten uns die Synoptiker – zwei Psalmen: den Psalm 22, in dem er sein Leiden Gott hinhält und sich durch die Not hindurchringt zum Vertrauen auf Gott, der den Armen aus der Not befreit; und Psalm 31, das Abendgebet des frommen Juden, in dem er sterbend Gott seinen Geist übergibt.
    Die Psalmen sind Gedichte. Sie drücken menschliche Erfahrungen aus. Als Gedichte bieten sie uns eine Sprache an, in der wir unsere persönlichen Erlebnisse vor Gott bringen können. Obwohl esvorgeformte Worte sind, werden sie im Beten zu unseren eigenen Worten. Wir können unsere Erfahrungen in diese Worte legen. Die Psalmen sind aber zugleich Wort Gottes an uns. In den Psalmen bietet uns Gott Worte an, mit denen wir unsere Fragen an ihn zum Ausdruck bringen können. Aber zugleich hören wir betend in den Worten der Psalmen schon die Antwort, die Gott uns darin gibt. So ist das Psalmenbeten in sich schon Dialog: Wir formulieren unsere Fragen und in den gleichen Worten hören wir Gottes Antwort heraus.
    Augustinus lehrt uns, die Psalmen mit der Stimme Jesu und in Gemeinschaft mit ihm zu beten. Jesus hat in den Psalmen seine Sehnsucht nach dem Vater vor Gott gebracht und er hat seine Erfahrung mit den Menschen, die ihn bedrängten, beschrieben. In den Psalmen können wir uns hineinmeditieren in sein Schicksal. Wir bekommen in ihnen auch Anteil an seiner Sehnsucht nach dem Vater. Nicht jeder Psalm wird jedem liegen. Aber es gibt Psalmen, die wohl das Herz eines jeden Menschen berühren, etwa Psalm 23: «Der Herr ist mein Hirte, ich leide nicht Not.» Selbst für den Skeptiker Immanuel Kant ist dieser

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