Die Bibel Verstehen
Doch es ist später entstanden, etwa um das Jahr 180 vor Christus. Der Autor Ben Sira verbindet die Weisheit jüdischer Sprichwörter mit der Weisheit der hellenistischen Kultur. Und er ordnet seine Sprichwörter bestimmten Themen zu. Dabei behandelt er seine Themen oft als Gegensatzpaar: Weisheit und Torheit, Armut und Reichtum, Zucht und Zuchtlosigkeit, Gesundheit und Krankheit, Sklaven und Herren, Freunde und Frauen. Somit zeigt er die Gegensätzlichkeit des menschlichen Lebens.
Der Mensch lebt immer zwischen zwei Polen. Der Verfasser wendet sich vor allem an die Jugend und fordert sie auf, sich für das Leben zu entscheiden. Die Entscheidung gelingt aber nur, wenn sich der junge Mensch erst den Gegenpol anschaut, der ihn genauso anzieht wie der Weg zum Leben.
Die Grundlage aller Weisheit ist die Furcht des Herrn. Furcht meint nicht Angst. Furcht des Herrn bedeutet, Gott ernst zu nehmen, das eigene Leben nicht willkürlich zu leben, sondern nach der Ordnung auszurichten, die Gott ihm gegeben hat. Gott ernst nehmen heißt zugleich, sich selbst und den eigenen Lebensweg wichtig zu nehmen, sich immerwieder bewusst für das Leben zu entscheiden. Wer das tut, der lebt angemessen, dessen Leben gelingt. «Die ihr den Herrn fürchtet, hofft auf Gutes, auf immerwährende Freude und Erbarmen» (Sir 2,9). Es geht also um die große Frage, wie unser Leben gelingen kann.
Im Buch Jesus Sirach findet jeder genügend Anregungen für die Kunst des gesunden Lebens, für den Weg gelingenden Lebens. Auf dem Weg zum Leben soll der Mensch dankbar annehmen, was Gott ihm als Hilfe anbietet: die Eltern, die Frau, den Mann, den Freund, die Klugheit, das Vertrauen auf Gott. Ein großes Geschenk an den Menschen ist der Freund. «Für einen treuen Freund gibt es keinen Preis, und nichts wiegt seinen Wert auf» (Sir 6,15). So besingt der Verfasser in wunderbaren Liedern das Lob der Freundschaft, das Lob der Frau und das Lob der Schöpfung, in der Gott sich dem Menschen in seiner Schönheit und Fürsorge zeigt.
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JESAJA: IM DUNKEL ERSTRAHLT EIN HELLES LICHT
Die prophetischen Texte, die im Buch Jesaja zusammengefasst sind, entstammen verschiedenen Epochen. Der erste Teil (Kapitel 1 bis 39) geht auf den Propheten Jesaja zurück, der etwa vom Jahre 740 bis 701 im Reich Juda gewirkt hat. Neben Droh- und Klageworten stehen in diesem Teil messianische Verheißungen. Diese Texte werden vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit gelesen. Im siebten Kapitel wird der Immanuel verheißen, der Gott mit uns. Dieser Text wurde schon von den Evangelisten Matthäus (Mt 1,23) und Lukas (Lk 1,31) auf die Geburt Jesu bezogen. Dort erfüllt sich, was der Prophet den Juden vor ihrer Gefangennahme und Deportierung nach Babylon verheißen hat. Die Verheißung des göttlichen Kindes in Kapitel 9 verkündet die Liturgie an Weihnachten. Dass dem Volk, das im Dunkel lebt, ein helles Licht erstrahlt, sieht Matthäus im Wirken Jesu am See von Galiläa erfüllt. Jesu Worte und Jesu Heilungswunder sind das Licht, das denen, die im Schatten des Todes wohnen, aufleuchtet und ihr Leben verwandelt (vgl. Mt 4,12–17). Wenn Gott als Mensch in die Wüste unserer Welt eintritt, dann wird die Wüste erblühen, dann werden die Augen der Blinden geöffnet und der Lahme wird springen wie ein Hirsch (Jes 35; zitiert bei Mt 11,5).
Die Kapitel 40 bis 55 werden von den Exegeten dem sogenannten Deuterojesaja (Zweiter Jesaja) zugeschrieben. Sie sind in eine andere Situation hineingesprochen. Juda ist im Exil, in der Stadt Babylon. Jetzt verheißt der Prophet dem Volk, dass Gottes rettendes Eingreifen unmittelbar bevorsteht. Gott wird sein Volk heimführen nach Jerusalem. Es sind wunderbare Trosttexte, wie etwa das Kapitel 40. Mit den Worten «Tröstet, tröstet mein Volk» (Jes 40,1) beginnt dieser zu Herzen gehende Text. Georg Friedrich Händel wurde von diesen Worten innerlich so getroffen, dass sie ihn aus einer langen Krankheit aufrichteten und zur Komposition des «Messias» anregten.
Das Buch Deuterojesaja kennt auch die sogenannten vier Gottesknechtlieder (Jes 42; 49; 50 und 53). Die Evangelisten haben in diesen vier Liedern Jesus Christus als den wahren Knecht Gottes erkannt. Vor allem die prophetischen Worte in Kapitel 53 dienten den Evangelisten, die Passion Jesu zu deuten und zu verstehen. In Jesu Tod am Kreuz wurden unsere Wunden geheilt (Jes 53,5). Jesus wurde für uns wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt (Jes 53,7). Die frühen Christen erkannten im Licht
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