Die Bibel
heimatloser Aramäer, dem Umkommen nahe. Er zog hinab nach Ägypten, war dort ein Fremdling mit wenig Leuten und wurde ein großes, starkes und zahlreiches Volk. Die Ägypter behandelten uns schlecht, bedrückten uns und legten uns einen harten Dienst auf. Da schrien wir zu Jahwe, dem Gott unserer Väter. Und Jahwe sah unser Elend, unsere Angst und Not und führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand und gestrecktem Arm und mit großem Schrecken, durch Zeichen und Wunder. Er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen.
Aus diesem Kern sprossen im Lauf der Jahrhunderte immer mehr Geschichten. Einzelerlebnisse wurden gedeutet, mit anderen Deutungen verbunden, mit Glaubenserfahrungen ganzer Generationen verkettet, literarisch verdichtet und geformt. Ungefähr zwischen 1000 und 500 vor Christus, also 300 bis 800 Jahre später, haben Israels Theologen das ganze Material – Bekenntnisse, Sprüche, Lieder, Gedichte, Erzählungen, Legenden, Sagen, Gesetzestexte – gesammelt und geordnet, auch geglättet und redigiert, es zu einem großen Ganzen gefügt und in die endgültige Form gebracht. In die Geschichten, die von weit zurückliegenden Ereignissen berichten, flossen die Deutungen und Erfahrungen der später Geborenen ein. Historische Fakten waren Nebensache, die Taten Gottes Hauptsache.
Schon die Exodus-Geschichte wird so erzählt, als habe Gott alles allein gemacht und sein Volk fast gar nichts. Die Realität dürftevon den Flüchtlingen vermutlich etwas anders erlebt worden sein. Zwar bedurfte es viel Gottvertrauens, um den Entschluss zum Auszug zu fassen. Aber dass alles Weitere unter Gottes Führung lief wie geschmiert und die Fliehenden nie ernstlich gefährdet waren, weil ja Mose in der Gefahr nur seinen Zauberstab zu recken brauchte? Das ist schon nachträgliche Deutung der glücklich Davongekommenen, Mythisierung eines Geschehens, das sich in seinen Einzelheiten nicht mehr rekonstruieren lässt.
Im Nachhinein wird aus der gelungenen Flucht die Lehre gezogen: Weil wir uns auf Gott verlassen haben, hat er uns nicht verlassen. Und darum wollen wir es auch in Zukunft so halten. Er soll uns führen, dann wird unser Leben gelingen.
Nicht anders verhält es sich bei den Geschichten der Landnahme. Das Land, das Israel vorfand, war nicht leer. Es gab tatsächlich Stadtkönige, die das Land für sich beanspruchten. Es war tatsächlich nicht ganz ungefährlich, sich dort einfach anzusiedeln, und darum war das Zögern des Volkes Israel in Kadesch-Barnea nicht nur ein kollektiver Angstwahn vor der Freiheit, sondern auch eine natürliche, gar nicht unvernünftige Reaktion auf Gefahren und Probleme, die drohten.
Später berichtet die Bibel auch von bewaffneten Auseinandersetzungen, in denen Gott zum Kriegsherrn mutiert, der mit seinem Volk in die Schlacht zieht. So werden beispielsweise die Mauern Jerichos allein durch Blasen der Posaunen und «Feldgeschrei» des Volks zum Einsturz gebracht.
Aber so unblutig geht’s nicht immer zu. Andere Geschichten erzählen geradezu kriegslüstern, wie Israel Kanaan erobert, sich alles unterwirft, die Besiegten nicht schont und das Land unter den zwölf Stämmen aufteilt. Aber auch hier ist es Gott, der seinem Volk voranzieht und für Israel die Schlachten schlägt.
Es geht in diesen Geschichten nicht um Kriegs-, sondern um Gottesverherrlichung – eine sehr missverständliche Verherrlichung,welche später die Kirche die Kanonen segnen lässt und die Nationalstaaten scheinbar legitimiert, «Gott mit uns» in die Koppelschlösser ihrer Soldaten zu gravieren. Kam’s dann zum Krieg, beteten die verfeindeten Armeen zum selben Gott, baten denselben Gott um den Sieg.
Das ärgerliche Missverständnis wird noch ärgerlicher, wenn man bedenkt, dass Israel das Land sehr wahrscheinlich viel friedlicher eingenommen hat, als die Bibel erzählt. Bei keiner einzigen kanaanäischen Stadt jener Zeit lässt sich nachweisen, dass sie von Israel zerstört wurde. Bis heute kennen wir keinen archäologischen Befund, der die biblische Darstellung der kriegerischen Landnahme Israels stützen könnte. Woher auch hätte denn Israel die Mittel nehmen sollen, um gegen die Streitwagen und Armeen der kanaanäischen Stadtkönige zu punkten?
Was sich jedoch belegen lässt, ist eine Besiedlung des weitgehend unbewohnten Landes in den Bergen seit ungefähr 1300 vor Christus. Waren es die Flüchtlinge aus Ägypten, die sich da niederließen?
Dagegen
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