Die Bibliothek der Schatten Roman
…«, sagte er langsam. »Wir müssen davon
ausgehen, dass er das nicht im vollen Bewusstsein getan hat. Aber ist er überhaupt in der Lage, diese Entladungen zu kontrollieren?« Kortmann ließ seinen Blick auf Iversen fallen, der am Tresen lehnte.
»Ich hatte den Eindruck, dass er nicht mitbekommen hat, was da vor sich ging«, antwortete Iversen.
»Der war vollkommen weggetreten«, fügte Paw hinzu.
»Ich glaube«, sagte Katherina, »dass er durchaus in der Lage war, die Stärke seiner Entladungen zu kontrollieren, genau wie man auch einen Text stärker oder weniger stark akzentuieren kann.« Die anderen richteten ihre Blicke auf sie, schienen aber die Tragweite ihrer Äußerung nicht verstanden zu haben. »Wenn die Phänomene bei diesen heftigen Pulsschlägen auftreten, die ich empfunden habe, kann er vermutlich auch verhindern, dass es dazu kommt.«
Sie hob den Zeigefinger, bevor die anderen etwas sagen konnten. »Ich bezweifle aber, dass er die Entladungen kontrollieren kann, wenn sie erst einmal aus ihm herausbrechen.«
Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas. Dann breitete Kortmann die Hände aus.
»Nichts als Vermutungen«, platzte er hervor. »Bis jetzt sind das alles bloße Vermutungen. Antworten kriegen wir erst, wenn wir ihn fragen, aber dafür muss er wach werden.«
Iversen nickte beifällig.
»Sie wollten mich auch noch über etwas anderes informieren«, deutete Kortmann an und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Wir haben Tom Nørreskov besucht«, erzählte Katherina ohne Umschweife und beobachtete dabei Kortmanns und Claras Gesicht. Kortmann runzelte einen Moment die Brauen, öffnete dann aber den Mund und riss die Augen auf. Clara schien den Namen sofort erkannt zu haben und blickte zu Boden.
»Wurde der nicht …«, begann Kortmann.
»Doch, er wurde vor mehr als 20 Jahren aus der Gesellschaft ausgeschlossen«, bestätigte Iversen.
Katherina und Iversen erzählten zusammen von dem Treffen und Tom Nørreskovs Theorie von der Schattenorganisation. Es dauerte beinahe eine Stunde, bis Katherina berichtet hatte, wie sie ihn gefunden hatten und wie das Gespräch verlaufen war. Iversen warf dabei immer wieder gewisse Aspekte und Begebenheiten ein, die Nørreskovs Theorie stützten. Während der ganzen Zeit saß Kortmann mit skeptischem Gesichtsausdruck in seinem Rollstuhl und hörte kommentarlos zu. Clara lief beim Zuhören im Laden auf und ab und nickte mehrmals. Paw hatte sich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt und sah beleidigt aus, vermutlich weil er nicht eher eingeweiht worden war.
Iversen und Katherina sprachen mit dem gleichen Eifer, und je weiter sie in ihrer Geschichte kamen, desto sicherer war Katherina, hiermit die richtigen Gründe für die jetzigen Anschläge und die Geschehnisse vor mehr als 20 Jahren aufgedeckt zu haben. Es gab keine Lücken in der Geschichte, die Iversen nicht mit Beschreibungen von Lucas Verhalten oder irgendwelchen Aussagen des alten Ladenbesitzers füllen konnte.
Als sie zum Ende gekommen waren, blieb es lange still. Clara war stehen geblieben, und Paw blickte mit gesenktem Kopf zu Boden.
»Wo ist Nørreskov jetzt?«, wollte Kortmann wissen.
»Auf seinem Hof, nehme ich an«, antwortete Katherina. »Seine Paranoia scheint ihn weitgehend handlungsunfähig gemacht zu haben, und er ist sicher nicht bereit, sein Versteck zu verlassen.«
Kortmann schüttelte den Kopf.
»Jetzt, da Luca tot ist, basiert eure Theorie einzig auf den Fantasien eines verschrobenen Einsiedlers«, bemerkte er sarkastisch.
»Aber …«, protestierte Iversen.
»Es mag ja sein, dass es in eurer Theorie gewisse Übereinstimmungen gibt«, unterbrach ihn der Mann im Rollstuhl. »Aber ich war da, damals vor 20 Jahren. Es gab keinerlei Anzeichen für eine geheime Verschwörung. Und es gibt Beweise.« Er nickte Clara zu, die mit verschränkten Armen dastand und ihn kühl anstarrte. »Kaum hatte sich die Bibliophile Gesellschaft geteilt, hörten die Übergriffe auf.«
»Das beweist doch nur, dass die Schattenorganisation ihren Willen bekommen hat«, versuchte Iversen. »Sie wollten die Gesellschaft schwächen, indem sie sie spalteten - was ihnen besser gelungen ist als erwartet.«
»Das ist doch totaler Quatsch!«, warf Paw lakonisch ein. »Eine Schattenorganisation! Wow, da kriege ich aber Angst!« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt reißt euch mal zusammen!«
Kortmann schien ausnahmsweise einmal einer Meinung mit Paw zu sein und nickte ihm anerkennend zu.
»Und wo sind die
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