Die Bibliothek der Schatten Roman
antwortete Poul Holt zufrieden. »Sie haben sich unmittelbar unter 20 gehalten.«
»Ist das gut?«
Poul Holt lachte.
»Das kann man wohl sagen. Ich bin einer der Stärksten im Orden und liege bei acht.« Er legte den Helm vorsichtig auf den Tisch. »Wir können noch nicht sagen, wie hoch Sie gehen können. Möglicherweise doppelt so hoch wie jetzt oder mehr. Aber dafür bräuchten wir eine andere Ausrüstung.«
»Heißt das, wir sind fertig?«, fragte Jon leicht enttäuscht.
»Beileibe nicht«, antwortete Poul Holt. »Aber es ist wichtig, dass wir nicht übereilt vorgehen. Sie müssen sich zwischen den Trainingseinheiten ausruhen.«
»Mir geht es gut«, sagte Jon.
»Das freut mich. Aber Sie haben auch noch andere Vorbereitungen zu bewältigen.«
In diesem Augenblick betrat Remer mit einem Buch unterm Arm das Zimmer. Zu seiner großen Freude erkannte Jon die Ordenschronik, aus der ihm am Vorabend vorgelesen worden war.
»Campelli«, begrüßte Remer ihn herzlich. »Wie ich höre, ist der erste Test gut gelaufen?«
»Offensichtlich«, antwortete Jon und versuchte, seinen Stolz nicht ganz so offensichtlich zu zeigen.
Remer musterte ihn eingehend.
»Und Sie fühlen sich wohl? Kümmern wir uns ausreichend um Sie?«
»Mir geht’s hervorragend«, antwortete Jon. »Von mir aus könnte ich gleich weitermachen. Je intensiver das Training, desto eher kann ich dem Orden dienen.«
Remer lächelte.
»Die Ruhephasen zwischen den Sitzungen sind sehr wichtig«, betonte er. »Sie werden noch früh genug für uns arbeiten.« Er hielt das Buch hoch. »In der Zwischenzeit sollen Sie aber noch mehr über unseren Hintergrund erfahren.«
Jon streckte die Hand nach dem Buch aus, aber Remer hielt es lächelnd zurück.
»Wenn ich ausruhen sage, meine ich absolute Ruhe. Legen Sie sich hin und schließen Sie die Augen. Poul wird dort weiterlesen, wo Sie gestern aufgehört haben.«
Jon tat, was Remer sagte, und lächelte zufrieden, als er kurz darauf Poul Holts ruhige Stimme vernahm.
Die nächsten 24 Stunden verbrachte er mit Training, Schlafen und dem Hören der Ordensgeschichte. Noch nie zuvor war Jon zufriedener gewesen. Er bekam Anerkennung für seine Fähigkeiten, wurde mit jeder Sitzung besser und entdeckte ständig neue Seiten des Ordens, die bestätigten, dass er seinen Platz gefunden hatte. Seine Ambitionen hatten lange Zeit geschlafen, seit Antritt seines Jurastudiums war er nicht mehr so zielstrebig gewesen. Jetzt wusste er, dass es mit dem Orden im Rücken keine Grenzen mehr für ihn gab: Er konnte alles erreichen. Sie konnten und wollten ihn in allen Zielen unterstützen, die er sich setzte. Sein Erfolg war auch der Erfolg des Ordens.
Jon hatte zwar noch nicht herausgefunden, wie diese Ziele konkret aussahen, aber Remer hatte ihm vorgeschlagen, eine Anwaltskanzlei mit Büros in der ganzen Welt zu gründen und zu leiten. Die Klientel der Kanzlei würde sich vorzugsweise aus den Unternehmen des Ordens zusammensetzen, aber man würde darüber hinaus natürlich darauf achten, auch ein paar unabhängige Fälle an Land zu ziehen. In der Kanzlei sollten vorwiegend Lettori arbeiten, und mit Jons Fähigkeiten und seinem Hintergrund würden sie, so Remer, nicht eine einzige Verhandlung verlieren. Remer hatte nachdrücklich gesagt, dass es sich bloß um einen Vorschlag handle. Natürlich sollte Jon selbst über seine Zukunft entscheiden.
»Freitag«, sagte Remer, als er sich das nächste Mal blicken ließ. »Heute gehen wir auf Sightseeing-Tour.«
Jon wäre am liebsten in seinem Zimmer geblieben, aber dann wurde ihm bewusst, dass er noch keinen Schritt vor die Tür gemacht hatte, obgleich er sich in einem fremden Land befand.
Die Frau in dem weißen Kittel brachte ihm etwas zum Anziehen, das zu seiner Überraschung perfekt saß. Remer führte ihn auf die Einfahrt, wo er von Poul Holt und einem rothaariger Mann um die 30 erwartet wurde, der ihm als Patrick Vedel
vorgestellt wurde und bei dem es sich um den Empfänger handelte, der sein Training begleitete. Jon fand die Vorstellung seltsam, dass Vedel während der Sitzungen in einem anderen Zimmer saß, aber Poul Holt hatte ihm erklärt, dass Patrick es selbst so wollte.
Der Rothaarige gab Jon die Hand und sah ihn gespannt an, als erwartete er, dass Jon ihn wiedererkannte. Jon schob den Gedanken beiseite, bestieg mit den anderen einen Landrover, den Remer gemietet hatte, und ließ sich nach Alexandria kutschieren.
Sie fuhren an der Strandpromenade entlang, Al-Comiche,
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