Die Bibliothek der Schatten Roman
die sich alles in allem über 20 Kilometer erstreckte. Im Osthafen standen Hunderte von Verkaufsständen am Strandboulevard, auf dem Touristen und Einheimische auf den breiten Bürgersteigen Richtung Meer spazierten. Die niedrige Kaimauer fungierte als Sitzbank, und auf der anderen Seite der Mauer lagen riesige Steinbrocken als Wellenbrecher.
Ihr erster Halt war in Fort Qaitbey, das auf der Landzunge lag, die das Hafenbecken im Westen einrahmte. Das Fort sah aus wie ein Lego-Modell aus verschieden großen und bunten Bausteinen. Es war an der Stelle errichtet worden, an der einst eines der sieben Weltwunder, der Leuchtturm von Pharos, gestanden hatte. Die großen, rötlichen Granitblöcke stammten angeblich noch von dem antiken Leuchtturm, der über 150 Meter hoch gewesen sein soll und Alexandria buchstäblich zu einem erleuchteten Ort gemacht hatte.
Der nächste Halt war ein großer Marktplatz mit Hunderten von Verkaufsständen. Einige Händler hatten einfach Stoffe über ihre Wagen gehängt, andere präsentierten auf ausgerollten Teppichen und Matten eine große Auswahl an Schmuckstücken, Schuhen oder Elektroartikeln. Die etwas professionelleren Händler hatten richtige Stände mit stoffbezogenen Holzauslagen, auf denen sie ihre Waren ausstellten.
Neben Textilien, Elektroartikeln und Antiquitäten gab es
Lebensmittel, Gewürze aus aller Herren Länder, die direkt aus großen Säcken verkauft wurden, und Pyramiden von Früchten, unter deren Gewicht die Tische zusammenzubrechen drohten. Fleisch und Fisch lagen in der prallen Sonne und wechselten in Zeitungen eingeschlagen und in Plastiktüten verpackt den Besitzer. Die Gerüche der verschiedenen Lebensmittel wurden immer vielfältiger. Mit jedem Schritt kamen neue Eindrücke hinzu und mischten sich mit den übrigen zu einem immer exotischeren Potpourri.
Jon hatte die anderen hinter sich gelassen und sah sich die ausgestellten Waren an. Er hatte alle Hände voll zu tun, die aufdringlichen Händler abzuwehren. Der Abstand zu den anderen wurde größer, und er begann, den Ausflug zu genießen. Es war eine gute Idee gewesen, mit dem Training zu pausieren.
Plötzlich erstarrte er.
Keine fünf Meter vor ihm stand Katherina. Sie beugte sich über eine Antiquität und hatte ihn noch nicht bemerkt, aber als Jon sich wieder in Bewegung setzte, hob sie den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.
Offensichtlich war sie genauso überrascht wie er. Sie riss die Augen auf und öffnete den Mund, bekam aber keinen Ton heraus. Im nächsten Augenblick öffnete sich ihr Gesicht zu einem breiten, warmen Lächeln, und sie streckte ihm in Erwartung einer Umarmung beide Arme entgegen.
Jon machte einen Schritt nach hinten. Das Lächeln verschwand aus Katherinas Gesicht und wich blanker Verwirrung. Sie machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu, jetzt mit verzweifeltem, fragendem Ausdruck. Jon wich vor ihr zurück, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Er hatte sie durchschaut. Der Orden hatte ihm die Augen für ihren Betrug geöffnet.
»Alles in Ordnung?«, ertönte Remers Stimme hinter ihm.
Jon hob den Arm und zeigte vor sich.
»Das ist Katherina«, sagte er. »Die Empfängerin aus dem Libri di Luca.«
FÜNFUNDDREISSIG
K atherina verstand es nicht.
Seit drei Tagen suchte sie in der ägyptischen Hafenstadt nach Jon, und plötzlich stand er weniger als fünf Meter entfernt vor ihr. Doch statt ihr entgegenzulaufen, wie sie es sich so oft vorgestellt hatte, hetzte er ihr seine Kidnapper auf den Hals.
Schockiert stand sie da und starrte ihn an, ohne sich regen zu können. Sein Blick war voller Hass. Hass auf sie. Erst als Jon zur Seite gestoßen und der Augenkontakt damit unterbrochen wurde, kam sie zu sich und stellte fest, dass zwei Männer auf sie zustürmten. Ihre Gesichter strahlten alles andere als Freundlichkeit aus. Sie drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge. Weg von ihnen und von Jon.
Sie erntete verwunderte Blicke, als sie sich stolpernd durch die Menge drängte. Die Händler schienen ihr den Weg zu versperren und wollten einfach nicht zur Seite gehen. Sie warf einen Blick zurück und sah, dass sie noch immer verfolgt wurde. Ein großer, rothaariger Mann und ein kleiner Glatzkopf mit billiger Brille waren ihr auf den Fersen. Das Herz hämmerte in ihrer Brust. Was war nur mit Jon geschehen?
Eine der schmalen Marktgassen war so überfüllt, dass alles stillstand und sie weder vor noch zurück kam. Verzweifelt versuchte sie, sich weiter zu schieben,
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