Die Bibliothek der Schatten Roman
Schikanen jeglicher Art ausgesetzt. Das ging damals von Einbrüchen und Brandstiftung bis hin zu Mord. Des Weiteren gab es eindeutige Anzeichen dafür, dass die Fähigkeiten offensiv eingesetzt worden waren. Die Empfänger beschuldigten uns, hinter den Vorfällen zu stehen, während wir sie dafür verantwortlich machten. Die Fähigkeiten der Empfänger sind nicht so offensichtlich wie unsere, und wir glaubten damals, Beweise zu haben, dass in die meisten Angriffe, denen wir ausgesetzt waren, Empfänger involviert waren. Alle Spuren wiesen in diese Richtung. Selbst in den Fällen, in denen die Empfänger selbst die Opfer waren, wiesen wir ihnen Verschleierungstaktik oder Revolten in den eigenen
Reihen nach. Natürlich stritten sie alles ab. Die gegenseitigen Beschuldigungen führten zu einem Bruch in der Gesellschaft. Die Stimmung war hasserfüllt und angespannt. Gerade in dieser Phase war Ihr Vater wegen des Todes Ihrer Mutter nicht einsatzfähig. Er war immer ein Botschafter für beide Seiten gewesen, doch ohne sein diplomatisches Geschick spaltete sich die Gesellschaft in Sender und Empfänger.« Kortmann presste die Handflächen gegeneinander. »Aus diesem Grund ist hier bis heute kein Empfänger willkommen.«
»Und was ist danach passiert?«, wollte Jon wissen. »Hörten die Angriffe auf?«
»Augenblicklich«, bestätigte Kortmann. »Nach der Teilung gab es keine Probleme mehr.«
»Bis jetzt«, fügte Paw hinzu.
Kortmann nickte.
Jon dachte an die Beerdigung. Iversen hatte gesagt, es wären sowohl Sender als auch Empfänger dort gewesen. Trotz allem. Er hatte keine Spur von Unfrieden oder Misstrauen gespürt, aber zu dem Zeitpunkt hatte er ja auch noch nicht einmal geahnt, was das für Leute waren und in welcher Beziehung sie zu Luca standen.
»Warum Luca?«
»Ihr Vater hatte in jedem Lager einen Fuß, und das passte nicht allen. Einige Sender und Empfänger sind der Meinung, es sei das Beste, sich an seine eigene Gruppe zu halten. In den Augen dieser Menschen war er ein Verräter.«
»Und in Ihren?«
Kortmann zögerte einen Augenblick, aber wenn er sich angeklagt fühlte, ließ er sich zumindest nichts anmerken.
»Luca war ein guter Freund. Außerdem war er ein hervorragender Vorsitzender und die Güte selbst. Aber wir konnten uns trotzdem nicht einig werden. Ich plädierte damals für die Trennung von Sendern und Empfängern, was mir die Stellung als Vorsitzender der Gesellschaft einbrachte, als Ihr Vater
zurücktrat. Am liebsten wäre mir gewesen, er wäre geblieben, aber der Tod Ihrer Mutter hat ihn damals so aus der Bahn geworfen, dass er mehrere Jahre keinen Kontakt mehr zu unserer Gesellschaft hatte. Als er endlich zurückkehrte, war die Trennung längst beschlossene Sache.«
»Und er wollte nie wieder Vorsitzender werden?«
»Nein, auf Lucas eigenen Wunsch hin wurde er als einfaches Mitglied der Gesellschaft aufgenommen«, antwortete Kortmann und beeilte sich hinzuzufügen: »Aber wir haben ihn immer hinzugezogen, wenn es um wichtige Entscheidungen ging. Er war trotz allem einer der Gründer, und sein Wort hatte nach wie vor großes Gewicht.«
»Hat ihn das denn so gefährlich gemacht, dass er sterben musste?«
»Das kann ich mir nur schwer vorstellen, aber es entzieht sich natürlich meiner Kenntnis, wie er in die Gesellschaft der Empfänger eingebunden war.«
»Sie müssen einen Grund gehabt haben, ihn umzubringen«, meinte Paw. »Das haben Sie selber gesagt, Kortmann. Der Mörder ist ein Empfänger.«
»Sie streiten jede Verbindung mit Lucas Tod ab«, erklärte Kortmann. »Trotz der Trennung kommunizieren wir hin und wieder mit den Empfängern. In der Regel lief das über Luca. Wir sind gerade dabei, eine etwas offiziellere Kontaktform auszubauen. Unmittelbar nach Lucas Tod hat die Vorsitzende der Empfänger sich bei mir gemeldet, um mir zu versichern, dass ihre Gruppierung nichts mit dem Mord zu tun hat.«
»Das stinkt doch zehn Meter gegen den Wind«, platzte Paw heraus. »Ich wette, die stecken dahinter. Und wen meucheln sie als Nächsten? Sie? Mich? Wir müssen etwas tun, bevor es zu spät ist.«
»Bevor ihr zum Angriff blast«, mischte sich Jon ruhig ein, »sollte da nicht geklärt werden, ob Luca nicht doch eines natürlichen Todes gestorben ist?«
»Wir hatten auch unsere Zweifel«, räumte Kortmann ein, »bis heute Abend. Der Angriff auf das Libri di Luca hat mich definitiv davon überzeugt, dass uns jemand nach dem Leben trachtet. Aber Ihre Skepsis freut mich, Jon. Die
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