Die Bibliothek der Schatten Roman
wären?«
»Lesen Sie nie etwas in Anwesenheit eines Empfängers und meiden Sie Lesungen von Sendern.«
Jon nickte.
»Ich würde mich sehr viel wohler fühlen, wenn ich nicht alleine wäre«, erklärte er. »Ich brauche jemand, der für mich den Bodyguard oder Führer spielt. Als Außenstehender brauche ich eine gewisse Anleitung, wie ich mich zu verhalten habe.«
»Das verstehe ich«, nickte Kortmann. »Aber die Empfänger würden Paw niemals als Ermittler in dieser Sache akzeptieren.«
»Ich dachte dabei auch gar nicht an Paw«, wehrte Jon eilig ab. »Ich würde gerne Katherina dabeihaben.«
Paw schnaufte verächtlich, während Kortmann das Kinn
auf die gefalteten Hände legte. Nachdem er Jon ausgiebig gemustert hatte, lachte er kurz auf.
»Sie sind ganz ohne Zweifel Lucas Sohn«, stellte er herzlich fest. »Genau das hätte er auch getan. Nun denn, Sie sollen Ihren Willen bekommen. Sie müssen aber akzeptieren, dass es gewisse Orte gibt, an die sie nicht mitkommen kann, und dass es einige Leute geben wird, die mit Ihrer Wahl nicht einverstanden sein werden.« Er wurde wieder ernst. »Also, was sagen Sie dazu?«
Jon sah Paw an, der seinen Blick beleidigt erwiderte. Kortmann saß mit gefalteten Händen da und betrachtete Jon erwartungsvoll. Wieder beschlich Jon ein Gefühl der Ohnmacht. Ihm war klar, was er zu tun hatte, ob er Lust hatte oder nicht. Im Grunde hatte er keine Wahl. Was ihn aber am meisten erstaunte, war, dass er wirklich Lust hatte. Die Aussicht, eventuell herauszufinden, was damals wirklich vorgefallen war, machte ihn taub für alle vernünftigen Argumente von Karriere und unglaubwürdigen Verschwörungstheorien. Irgendwie sagte ihm eine innere Stimme, dass es eine Verbindung geben musste zwischen den aktuellen Ereignissen und den Geschehnissen vor 20 Jahren.
Jon richtete sich auf und breitete die Arme aus.
»Okay, wann fangen wir an?«
ELF
O bgleich es dunkel war, bemerkte Katherina, dass die beiden Männer, die auf sie zukamen, verändert wirkten. Jon ging mit entschlossenen Schritten voraus, während Paw mit gesenktem Kopf hinter ihm herschlurfte. Sie waren etwa eine Stunde im Haus gewesen. Eine Stunde, in der Katherina in der abendlichen Kälte vorm Haus auf und ab gelaufen war. Dabei quälte die Kälte sie nicht so sehr wie Kortmanns arrogante Abweisung. Es machte sie wütend, nicht zu wissen, was er den beiden erzählte und welche Version der Geschehnisse er ihnen auftischte.
»Na, was hat er gesagt?«, fragte Katherina, als sie beim Auto ankamen. Jon sagte nichts und sah sie auch nicht an, als er sich hinter das Lenkrad setzte. Sie wandte sich daraufhin an Paw, der ihren Blick erwiderte.
»Herzlichen Glückwunsch«, murmelte er. »Du sollst unserem Freund hier als Touristenführer dienen.« Er machte die Autotür auf und rutschte auf den Rücksitz, wo er die Augen schloss und die Arme verschränkte.
Katherina setzte sich auf den Beifahrersitz.
»Wie?«
Jon holte tief Luft. Die Hände auf dem Lenkrad und den Blick starr auf die Dunkelheit hinter der Windschutzscheibe gerichtet, antwortete er:
»Ich bin gebeten worden, die genaueren Umstände … des Todes meines Vaters zu untersuchen. Kortmann ist der Meinung, dass Luca ermordet wurde.« Er schwieg eine Sekunde, ehe er sich zu ihr umdrehte.
»Ich werde deine Hilfe brauchen, Katherina.«
Sie schlug den Blick nieder und nickte.
»Natürlich.«
Ihre Sorgen waren mit einem Mal verflogen, und sie musste sich anstrengen, ihre Erleichterung nicht zu zeigen. Nach einer Stunde voller banger Ahnungen und Ungewissheit konnte sie sich endlich entspannen. Denn bedeutete das nicht, dass sie nach wie vor im Libri di Luca willkommen war? Und dass es noch immer Hoffnung gab, dass sich Sender und Empfänger wieder versöhnen könnten? Sie wagte es fast nicht zu glauben.
»Du siehst gar nicht überrascht aus«, bemerkte Jon. »War dir klar, dass er umgebracht worden ist?«
»Es deutet einiges darauf hin«, antwortete Katherina ausweichend. Sie konnte gut verstehen, dass Jon sich ausgeschlossen fühlte. »Hundert Prozent sicher sind wir nicht, aber Iversen ist davon überzeugt.«
»Es hat den Anschein, als wüssten außer mir alle Bescheid«, sagte Jon trocken und startete den Motor. »Man scheint sich auch einig darüber zu sein, dass es ein Empfänger ist, der hinter der Sache steht«, fuhr er fort, während der Wagen auf das Tor zurollte, das sich wie auf ein geheimes Signal öffnete. »Alle haben mich vor euch Empfängern gewarnt.
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