Die Bibliothek der Schatten Roman
Ausführungen trabte Paw im Laden auf den bloßen Dielen auf und ab. Mit fortschreitender Geschichte wurde sein Gesicht immer roter vor Wut, aber er unterbrach sie nicht und wäre auch sicher nicht in der Lage gewesen, einen Ton durch seine zusammengebissenen Zähne zu pressen.
»Diese Schweine«, platzte er schließlich mit bebender Stimme hervor, als sie zum Ende gekommen waren. Er richtete seinen hasserfüllten Blick erst auf Katherina und dann auf Jon.
»Wer denn?«, fragte Jon direkt.
Die Frage schien Paw zu überrumpeln, und er sah mit flackerndem Blick zu Katherina.
»Ja, wen meinst du?«, wollte Katherina wissen.
»Das liegt doch wohl auf der Hand«, sagte er erbost. »Du solltest das wirklich wissen.«
Es wurde vollkommen still im Antiquariat. Katherina hielt Paws Blick stand. Sie wusste ausnehmend gut, was er meinte, ebenso gut aber auch, dass er sich irrte. Aber es war weder der richtige Zeitpunkt noch der passende Ort, mit ihm zu streiten. In seinem momentanen Zustand war es überdies sinnlos, ihn mit Argumenten überzeugen zu wollen.
»Meint ihr nicht, dass ich langsam eine Erklärung verdient hätte?«
Katherina und Paw brachen ihr Blickduell ab und richteten ihre Aufmerksamkeit auf Jon. Er lehnte am Tresen und hob die Hände.
»Ehrlich gesagt bin ich der Meinung, dass ich bis jetzt extrem geduldig gewesen bin. Es sind Molotowcocktails auf mich geworfen worden, man hat mich angelogen, und es geschehen, vorsichtig ausgedrückt, geheimnisvolle Dinge in einem Laden, der rein rechtlich mir gehört. Ist es da nicht angemessen, dass ich erfahre, was hier eigentlich vorgeht?«
Paw brach die Stille.
»Willst du, oder soll ich?«, fragte er Katherina.
»Wir sollen ihn zu Kortmann bringen«, antwortete sie lakonisch. »Hat Iversen gesagt.«
»Wir? Glaubst du, der lässt dich rein?«
Katherina zuckte mit den Schultern.
»Wir werden sehen.«
»Kenne ich diesen Kortmann?«, fragte Jon.
»Du müsstest ihn eigentlich auf der Beerdigung gesehen haben«, erklärte Katherina. »Ein älterer Mann im Rollstuhl.«
Jon nickte.
»Kortmann ist der erste Vorsitzende der Bibliophilen Gesellschaft«, fuhr sie fort. »Er kennt alle Antworten und wird entscheiden, was jetzt zu tun ist.«
Der Sarkasmus in Katherinas letztem Satz war nicht zu überhören, aber Paw ließ sich nichts anmerken und klatschte zufrieden in die Hände.
»Wann fahren wir zu ihm?«
»Jetzt«, antwortete Katherina.
ZEHN
J on war schon häufig an Kortmanns Villa in Hellerup vorbeigefahren, ohne zu wissen, wer dort wohnte. Das Haus fiel einerseits durch seine Größe auf, andererseits durch einen dicken, rostigen Metallturm, der vor einer Fassade des Gebäudes in Dachhöhe aufragte. Der Anbau, der mit seinen fast zwei Metern Durchmesser an einen langsam, aber sicher verfallenden Fabrikschornstein erinnerte und seltsamerweise direkt vor einer dreistöckigen, im Übrigen sehr gepflegten roten Backsteinvilla stand, war so auffallend, dass Jon den Platz sofort wiedererkannte.
Zur Straße versperrten eine drei Meter hohe Mauer und ein solides Eisentor Unbefugten den Zutritt zum Grundstück.
Katherina saß auf dem Beifahrersitz neben Jon, Paw auf der Rückbank. Keiner von ihnen sagte etwas, wenn es nicht für die Wegbeschreibung nötig war. Wenige Meter vor dem Eisentor hielt Jon neben einer Gegensprechanlage an.
Er ließ das Seitenfenster herunter, streckte den Arm aus und drückte auf einen Knopf mit Glockensymbol.
»Was soll ich sagen?«, fragte er, während sie warteten, dass sich jemand meldete.
»Sag einfach, wer wir sind«, antwortete Katherina. »Dann wird er wissen, dass es wichtig ist.«
Jon warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war ein Uhr nachts, aber hinter einigen Fenstern im dritten Stock brannte noch Licht.
»Ja?«, tönte eine knarrende Stimme aus der Lautsprecheranlage.
Jon beugte sich näher zum Lautsprecher vor.
»Ich bin Jon Campelli.« Er machte eine Pause, aber es kam keine Antwort. »Entschuldigen Sie die späte Störung, aber wir müssen dringend mit Herrn Kortmann sprechen.«
Aus der Gegensprechanlage kam außer einem schwachen Summen noch immer keine Reaktion. Jon sah Katherina fragend an. Sie zog die Schultern hoch. Jon wandte sich erneut dem Lautsprecher zu. »Iversen liegt im Krankenhaus«, probierte er es. »Das Libri di Luca wurde …«
»Kommen Sie herein«, fiel ihm die Stimme ins Wort. »Durch den Turm.«
Das Eisentor glitt geräuschlos und so langsam auf, als sollte der Zutritt so lange wie
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