Die Bibliothek der Schatten Roman
Tischen hinter der Tür standen, waren einfach nach hinten in den Laden geschmissen worden, so dass sie erst einmal damit begann, einen Tisch aufzuklappen. Da sie außer Stande war, die Bücher nach Autoren oder Titeln zu ordnen, legte sie die Bände einfach in Stapeln auf die Tischplatte.
Der Rest des Tages verging mit Aufräumen, einer Mittagspause in einer nahegelegenen Pizzeria und mit dem Warten auf Kunden, doch die einzigen beiden, die kamen, verließen das Antiquariat schnell wieder, ohne etwas zu kaufen.
Jon kam am späten Nachmittag. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und schien sich nicht rasiert zu haben. Trotzdem war er tadellos gekleidet, bis er die Anzugjacke auszog,
den Schlips ablegte und den obersten Knopf seines blauen Hemdes öffnete.
»Harten Tag gehabt?«, fragte Katherina, nachdem sie sich begrüßt hatten und Jon mit einem tiefen Seufzer in dem Sessel hinter dem Kassentresen Platz genommen hatte.
»Das kann man wohl sagen«, brummte er und schloss die Augen. »Und du? Irgendwelche Probleme?«
Katherina fasste ihren Tag in wenigen Sätzen zusammen.
»Ja«, sagte Jon und öffnete die Augen. »Wir müssen neue Fenster einsetzen lassen. Ich werde morgen versuchen, einen Glaser aufzutreiben.«
»Hast du was von Kortmann gehört?«, erkundigte sich Katherina.
»Er hat mich angerufen, als ich gerade losfahren wollte. Er hat in …« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »… einer halben Stunde ein Treffen organisiert.«
»Hier?«
»Nein, irgendwo in Østerbro, in einer Bibliothek«, antwortete Jon und fügte dann mit einem Lächeln hinzu: »Wo sonst?«
Die Bibliothek lag in der Hammerskjölds Allé gegenüber der amerikanischen Botschaft. Zur Straße hatte das Haus eine große Fensterfront, so dass man schon von Weitem die Bücherregale im Inneren erkannte. Es waren noch immer Besucher in der Bibliothek, obgleich sie offiziell in zehn Minuten schloss.
Katherina folgte Jon durch die Vorhalle zur Eingangstür. Es war lange her, dass sie in einer Bibliothek gewesen war. Ihre Fähigkeiten machten daraus jedes Mal ein höchst anstrengendes Ereignis. Auch wenn sie sich inzwischen gut darauf verstand, die meisten Eindrücke auszusperren, nahm sie sie doch noch als eine Art rauschenden Hintergrundlärm wahr, der einfach nicht abzuschalten war. Die Bücher selbst bereiteten
ihr keine Freude. Die meisten Einbände waren laminiert und die Umschläge langweilig und unpersönlich.
Unmittelbar hinter der Tür war der Schalter, an dem eine Frau die letzten Besucher bediente. Sie war etwa 50, mit langen blonden Haaren und einer großen runden Brille, die viel zu groß für ihr schmales, blasses Gesicht war. Sie kam Katherina irgendwie bekannt vor, und als sich ihre Augen begegneten, lächelte die Frau und nickte ihr zu. Sie gingen am Schalter vorbei in den Bibliotheksbereich.
Rechts vom Ausleihschalter befand sich ein geschlossener Raum mit Glaswänden, in dem Zeitungen und Journale auslagen. In der Mitte dieses Glaskastens stand ein Tisch mit ein paar Stühlen, an dem die Leser die ausgewählten Zeitungen durchblättern konnten.
»Kortmann«, flüsterte Jon und meinte damit einen Mann, der am Tisch saß und ihnen den Rücken zuwandte. Beim zweiten Hinsehen erkannte Katherina, dass er im Rollstuhl saß.
»Was jetzt?«, flüsterte sie zurück.
»Ich nehme an, es geht los, sobald die Bibliothek geschlossen ist«, meinte Jon leise. »Vielleicht sollten wir uns trennen.«
Katherina nickte und ging am Zeitschriftenraum vorbei in Richtung Kinderabteilung. Sie hatte das Gefühl, von draußen aus dem Dunkel beobachtet zu werden, als sie an den Comicregalen vorbeiging. Sie vertrieb sich die Zeit, indem sie die Hefte durchblätterte, beobachtete dabei aber aus den Augenwinkeln die anderen Anwesenden in der Bibliothek. In der Belletristikabteilung stand ein etwa 40-jähriger Mann, der seine Nase tief in ein dickes Buch gesteckt hatte. Wie Katherina am Umschlag erkennen konnte, handelte es sich um den Namen der Rose . Katherina fokussierte ihre Kräfte vorsichtig auf ihn und spürte deutlich, dass auch er nur wartete, dass die Zeit verging. Als sie den Kopf wandte, um ihn näher in Augenschein zu nehmen, sah er ebenfalls auf. Sie glaubte in seinen Augen etwas wie ein Wiedererkennen zu bemerken, doch
er senkte seinen Blick rasch, stellte das Buch ins Regal zurück und ging weiter.
Auf die gleiche Weise suchte Katherina die ganze Bibliothek ab und fand noch mehr Personen, die zwischen den Regalen
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