Die Bibliothek der Schatten Roman
antwortete Jon und zögerte, ehe er fortfuhr. »Das
hat nichts mit meiner Arbeit zu tun. Darum würde ich Sie auch bitten, für sich zu behalten, was Sie finden.«
Wieder herrschte einen Moment vollkommene Stille am anderen Ende der Leitung.
»Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun, Lawman .«
»Keine Sorge, Sie kennen mich doch.«
Jon sah zu Katherina, die einen freien Platz auf dem Fensterbrett gefunden hatte, und das Bettgestell auf der anderen Seite des Raumes geistesabwesend anstarrte. Sie sah blass aus und hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen, als würde sie frieren. Mit einem Mal wirkte sie ganz zerbrechlich.
»Hören Sie, Muhammed, können Sie den Computer auch von Ihrem Computer aus runterfahren?«, fragte Jon.
Muhammed antwortete mit einem Nuscheln, das Jon als Bestätigung interpretierte. Im Hintergrund war hektisches Tastenklappern zu hören, während auf dem Bildschirm Reihen unbegreiflicher Kommandos auftauchten, die von ebenso unbegreiflichen Antworten abgelöst wurden.
»Schalten Sie den Computer also aus, wenn Sie fertig sind, wir können nicht mehr länger bleiben«, sagte Jon und erhob sich. »Ich melde mich später noch mal bei Ihnen, um zu hören, was Sie rausgefunden haben.«
»Okay, aber mir wär’s lieber, Sie kämen vorbei. Sicherheitshalber.«
»Abgemacht. Bis später, Muhammed.«
»Later.«
Jon beendete das Gespräch und steckte das Handy in die Innentasche.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Katherina wandte verwirrt den Kopf, ehe sie seinen Blick fand.
»Ja, mir geht’s gut. Oder … Es ist schon eine merkwürdige Vorstellung, was vor kurzem hier passiert ist.«
Jon nickte und warf einen Blick aufs Bett. Ihm war nicht
ganz klar, wie sie etwas finden sollten, das die Polizei übersehen hatte. Auf dem Nachtschränkchen lag bloß ein Stapel Bücher, und es gab keine Anzeichen für einen Kampf. Jon wurde das Gefühl nicht los, dass Kortmann sie aus einem ganz bestimmten Grund in die Wohnung geschickt hatte, nämlich um herauszufinden, was auf der Festplatte war, und nicht, um Lees Schicksal aufzuklären.
»Komm, lass uns gehen.«
Nach Katherinas Wegbeschreibung fuhren sie zum Sankt Hans Torv. In einer Seitenstraße fand Jon einen Parkplatz. Es war noch über eine Stunde bis zum Treffen mit den Empfängern, und da sie beide noch nichts gegessen hatten, suchten sie ein kleines italienisches Restaurant am Platz auf.
Allmählich kehrte die Farbe in Katherinas Gesicht zurück, nicht zuletzt dank Jons Versuchen, ihre Gedanken von der Wohnung in Sydhavn abzulenken. Er redete über alles Mögliche, seine Arbeit, italienisches Essen und Auslandsreisen. Sie hatten einen Tisch im hinteren Teil des Lokals gefunden, wo sie ungestört reden konnten, hielten sich aber während des Essens hauptsächlich an neutrale Themen. Mit der Zeit wurde es allerdings zunehmend schwieriger, nicht auf Luca, den Laden oder die Gesellschaft zu sprechen zu kommen, so dass die verlegenen Pausen in der Unterhaltung immer länger wurden.
Jons Gedanken kreisten um das bevorstehende Treffen. Luca war ein Sender gewesen, und obgleich er offensichtlich mit allen auf gutem Fuß gestanden hatte, musste die Beziehung zu seiner eigenen Gruppe doch irgendwie enger gewesen sein. Aus diesem Grund hatte Jon das Gefühl, bei der bevorstehenden Begegnung mit den Empfängern feindliches Terrain zu betreten.
»Was erwartet mich nachher?«, fragte er und brach endlich das Eis.
Katherina sah sich im Lokal um, ehe sie antwortete.
»Auf jeden Fall ein stärkerer Zusammenhalt als bei den Sendern.« Sie blickte auf ihre Hände. »Empfänger zu sein kann sehr hart sein, besonders anfangs, wenn man noch nicht versteht, was da mit einem vorgeht. Darum sind alle, die das durchgemacht haben, so eng miteinander verbunden. Wir sind aufeinander angewiesen, weil niemand sonst sich vorstellen kann, wie das ist. Dein Vater ahnte es zumindest und respektierte uns für das, was wir ertragen müssen. Die meisten anderen glauben, wir könnten unsere Fähigkeiten einfach nach Bedarf an- und abschalten.«
»Ich würde wahnsinnig werden«, meinte Jon.
»Das werden auch viele«, antwortete Katherina. »Und noch mehr werden als verrückt abgestempelt, wenn sie behaupten, Stimmen zu hören.«
Jon nickte und erzählte ihr von seinem Erlebnis mit dem alten Mann in der Kneipe am Friedhof.
Katherina grinste.
»Den kennen wir gut«, bestätigte sie. »Ole taucht ab und zu bei unseren Treffen auf, aber eher selten. Er hat seine eigene Lösung
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