Die Bibliothek der Schatten Roman
sie in der Tür zurückhielt. Doch die Regale mit den Büchern veranlassten sie schließlich, ins Zimmer zu treten und die Werke näher in Augenschein zu nehmen. Im Gegensatz zu der Unordnung, die sonst in der Wohnung herrschte, waren die Bücher sorgsam geordnet und in gutem Zustand.
»Was liest er?«, fragte sie Jon, der vor dem Computertisch kniete. Er langte unter die Tischplatte, drückte auf einen Schalter, und die Bildschirme erwachten zum Leben. Dann stand er auf und ging zu ihr. Sein Blick huschte über die Bücherrücken.
»Jede Menge Science-Fiction und Fantasy«, stellte er fest, nachdem er ein paar Regale durchgesehen hatte. »Aber auch ein paar Klassiker.« Er nahm ein in Leder gebundenes Buch heraus und reichte es ihr. »Joyce.« Katherina drehte das Buch hin und her und schlug es an ein paar Stellen auf. Hinten im Buch erkannte sie die kleine Visitenkarte des Libri di Luca.
Ein paar Schritte weiter deutete Jon auf eine Reihe von acht bis zehn Büchern. »Mein Gott, das ist Kierkegaard.« Dann begutachtete er die Stapel auf der Fensterbank und auf dem Nachttischchen.
»Er hatte wirklich einen vielseitigen Geschmack, das muss man ihm lassen«, meinte Katherina und stellte den Ulysses zurück ins Regal.
Jon nickte und wandte sich dem Computer zu, der in der Zwischenzeit hochgefahren war. Er setzte sich hin und legte seine Hand auf die Maus. Katherina stellte sich hinter ihn und beobachtete, wie er prüfend auf ein paar Icons klickte.
»Was machst du?«, fragte sie nach ein paar Minuten.
»Wenn ich ehrlich sein soll - ich habe keine Ahnung«, räumte Jon lachend ein. »Computer sind nicht gerade mein Ding.«
Katherina kicherte. Es war irgendwie sympathisch, wie er dasaß und mit der unbekannten Maschine rang, wohl wissend, dass das nicht sein Metier war. Er war in diesem Moment nicht mehr der Superanwalt, sondern ein Mensch mit Schwächen, die er sich selbst und anderen eingestehen konnte.
In diesem Moment klingelte sein Handy. Er nahm es heraus und blickte aufs Display.
»Das ist Kortmann«, sagte er und reichte es ihr. »Kannst du mit ihm reden, während ich hier weitermache?«
Katherina nahm das Telefon.
»Ja?«
»Sind Sie in der Wohnung?«, erkundigte sich Kortmann.
»Ja, ja«, bestätigte Katherina. »Jon untersucht gerade den Computer.«
»Sehen Sie irgendetwas Auffälliges?«
»In der Wohnung? Nein, nicht wirklich.«
»Was hat er für Bücher gelesen?«
»Sehr unterschiedliche Sachen«, antwortete Katherina. »Auf dem Nachtschränkchen liegen ein paar Kafka-Bände, die hat er vermutlich als Letztes gelesen.«
»Kafka?«, wiederholte Kortmann und schwieg einen Moment. »Machen Sie mit dem Computer weiter, ich muss jetzt wieder fahren.«
»Okay«, sagte Katherina, doch da hatte Kortmann bereits aufgelegt.
»Mist«, schimpfte Jon frustriert. »Ich krieg aus diesem Ding nichts raus.«
»Sollen wir ihn mitnehmen?«, fragte Katherina. »Vielleicht kann uns jemand anders helfen.«
Jon musste plötzlich grinsen.
»Natürlich, warum bin ich denn nicht selbst darauf gekommen?«
Er nahm sein Handy und wählte eine Nummer.
»Hier ist Jon Campelli… ja, ja, alles in Ordnung … ja, ja, die Sache läuft …« Er nickte ungeduldig, ließ den anderen aber ausreden.
»Hören Sie mal, Muhammed, könnten Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?«
VIERZEHN
S ie mussten den Computer nicht abbauen. Muhammed führte Jon vom anderen Ende der Leitung aus durch diverse Menüs und Programme, um an die IP-Adresse des Rechners zu gelangen und die Sicherheitsvorkehrungen auszuschalten, damit Muhammed sich von außen in den Computer einloggen konnte. Nach nicht einmal fünf Minuten konnte Jon sich auf dem Schreibtischstuhl zurücklehnen und beobachten, wie der Computer von Muhammed übernommen wurde. Auf dem Bildschirm, von den Bewegungen des Mauspfeils dirigiert, öffneten und schlossen sich Fenster.
»Okay, ich bin drin«, sagte Muhammed. »Wonach suchen wir genau?«
»Als Erstes muss ich wissen, welche Internetseiten er in letzter Zeit aufgesucht hat«, bat Jon. »Und ansonsten ganz generell, womit er sich beschäftigt.«
»No problem«, meinte Muhammed. »Wie viel Zeit habe ich?«
»So viel Sie brauchen. Der Eigentümer wird so schnell nicht wiederkommen.«
»Im Knast?«
»Nein, tot.«
Muhammed verstummte, und die Aktivität auf dem Bildschirm brach ab.
»War das ein Mandant von Ihnen?«, fragte er schließlich. Der Mauspfeil auf dem Bildschirm nahm seinen Tanz wieder auf.
»Nein«,
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