Die Bibliothek der Schatten Roman
erwiderte Katherina. »Und sie werden auf Jon hören. Er ist sicher am meisten von diesen Geschehnissen betroffen. Tom hat sich sein Schicksal in gewisser Weise selbst gewählt. Jon hingegen ist um seines betrogen worden. Aber wer weiß, was geschehen wäre, wenn er bei Luca geblieben wäre?«
»Wie hat er es aufgenommen?«, fragte Iversen besorgt.
»Überraschend ruhig«, antwortete Katherina. »Es ist schwer zu sagen, was er fühlt. Was das angeht, ähnelt er Luca - sie verstehen sich wirklich darauf, ihre Geheimnisse zu hüten. Ich glaube, er ist verbittert darüber, dass man ihm nie die Wahrheit gesagt hat.«
»Das sind wir wohl alle irgendwie«, erklärte Iversen. »Ob mit Recht oder nicht, es ist verdammt übel, einfach außen vor gelassen zu werden. Vielleicht ist das jetzt aber die Chance, die Bibliophile Gesellschaft wieder zu einen - Lucas Traum.«
»Es können aber noch immer Verräter unter uns sein«, bemerkte Katherina.
»Das ist wahr«, räumte Iversen ein. »Wahrer als jemals zuvor. Es wird wirklich Zeit, diese Leute auszuräuchern. Wir müssen die faulen Äpfel aussortieren, und dafür brauchen wir die Hilfe aller. Vor allem die von Jon.«
»Und Kortmann?«
»Kortmann und Clara müssen endlich das Kriegsbeil begraben«, sagte Iversen wütend. »Und wenn ich ihnen selbst den Spaten dazu in die Hand drücken muss.«
Katherina bemerkte, dass der Kardiograph, an den Iversen noch immer angeschlossen war, heftige Sprünge machte. Sie tätschelte seine Hand.
»Ruhig, Iversen, sonst kommt hier noch das ganze Krankenhauspersonal angelaufen.«
Am nächsten Tag schloss Katherina den Laden zum ersten Mal in dem Bewusstsein auf, dass die Bücher in den Regalen nicht immer nur einem guten Zweck gedient hatten. Bislang hatte sie den Verkauf von Büchern als eine ehrwürdige Arbeit aufgefasst - eine Beschäftigung, deren Ziel es war, die Menschen zu bilden und ihnen angenehme Erlebnisse zu bescheren. Jetzt hatte sie mit einem Mal das Gefühl, ebenso gut auch in einem Waffenladen stehen zu können. Es gab Menschen, die Bücher dazu nutzten, anderen zu schaden. Natürlich wusste sie seit langem, dass dieses Risiko bestand, doch erst jetzt war sie sich im Klaren darüber, dass es Leute gab, die so etwas mit Vorsatz taten und noch dazu organisiert waren.
Diese neue Erkenntnis brachte sie dazu, die Kunden, die im Laden auftauchten, genauer zu mustern als üblich, und sie ertappte sich dabei, dass sie einigen unbewusst folgte, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Auch benutzte sie ihre Fähigkeiten, um möglichst viele Eindrücke zu sammeln. War ihr ein Kunde suspekt, sorgte sie dafür, dass er die Lust am Lesen verlor und den Laden bald wieder verließ.
Im Laufe des Nachmittags rief Jon an. In ihrem sensiblen Zustand hörte sie sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Wie geht es Iversen?«, erkundigte er sich.
»Er wird morgen oder übermorgen entlassen«, antwortete Katherina und erzählte von ihrem Besuch im Krankenhaus, den sie am Vortag unternommen hatte, aber Jons kurz angebundene
Kommentare zeigten ihr, dass er nicht bei der Sache war.
»Stimmt was nicht?«, fragte sie nach einer kurzen Schweigepause.
»Jein«, antwortete er. »Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich eine … nein, sagen wir lieber, man drängt mich dazu, eine Entscheidung zu fällen.«
»Ja?« Katherina hielt die Luft an. In ihrem Hirn erstand ein Schreckensszenario nach dem anderen. Was für eine Entscheidung? Über das Libri di Luca? Wollte er in Anbetracht des anstehenden Kampfes mit der Schattenorganisation verkaufen? War er bedroht worden? Gekauft?
Jon räusperte sich, ehe er fortfuhr:
»Was muss ich machen, um aktiviert zu werden?«
ZWANZIG
S eit Tom Nørreskov von der Schattenorganisation erzählt und Lucas und seine Rolle in diesem Zusammenhang dargestellt hatte, versuchte Jon, sein Gehirn auf die neuen Informationen einzustellen. 20 Jahre lang hatte er es mit Vermutungen, Beschuldigungen und Wut gefüttert und musste sein Gehirn jetzt komplett neu programmieren, um dem Ganzen einen Sinn abzugewinnen. Und bei dieser Aufgabe konnte ihm niemand helfen, weshalb er auf direktem Weg nach Hause fuhr, nachdem er Katherina vorm Libri di Luca abgesetzt hatte.
Er schloss die Tür auf, zog die Jacke aus und ging ins Wohnzimmer. Die Putzfrau war da gewesen, wie er am Geruch feststellte und daran, dass die Lifestyle-Magazine wieder in einem ordentlichen Stapel auf dem schwarzen Couchtisch lagen. Die Nachmittagssonne fiel
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