Die Bibliothek der Schatten Roman
gekommen als je zuvor«, stellte Tom fest und streckte die Hand nach dem Gewehr aus. Jon übergab die Waffe wieder ihrem Besitzer, der Lauf und Kolben sorgsam abwischte und säuberte.
»Ist Ihnen jemand gefolgt?«, erkundigte sich Tom, ohne den Blick von seiner Arbeit zu nehmen.
Jon schüttelte den Kopf.
»Ich habe keinen bemerkt.«
»Schon etwas auffallend, dass sie ausgerechnet an dem Tag kommen, an dem auch Sie hier auftauchen«, meinte Tom und sah sie an. »Wer wusste, wohin Sie wollten?«
»Iversen und Paw«, antwortete Katherina.
»Und mein Computermann«, fügte Jon hinzu.
»Trauen Sie denen?«
Sowohl Katherina als auch Jon nickten.
Tom ließ seinen Blick über die Gebäude schweifen und seufzte leise.
»Mir wäre es recht, wenn Sie jetzt gehen würden«, sagte er ruhig.
Katherina und Jon sahen sich an.
»Sollen wir nicht noch ein bisschen bleiben - ich meine, falls sie wiederkommen?«, bot Jon an.
»Nein danke«, lehnte Tom ab und wich einen Schritt zurück. »Ich komme allein zurecht, das tue ich schon seit 20 Jahren. Wenn Sie mich nur allein lassen.«
So wie er ihnen gegenüberstand, das Jagdgewehr unter dem Arm, konnte sich Katherina des Gefühls nicht erwehren, dass seine Aufforderung mehr als bloß ein höflicher Wunsch war. Obgleich seine Stimme beherrscht klang, wirkte Toms Körper angespannt. Sein Blick huschte von ihr zu Jon.
»Aber …«, protestierte Jon, verstummte jedoch, als Katherina ihm die Hand auf die Schulter legte.
»Lass uns gehen«, bat sie leise und wandte sich dann an Tom: »Danke für alles, Tom. Sie haben uns heute wichtige Informationen gegeben, und wir werden unser Bestes tun, dieses Wissen zu nutzen. Natürlich hoffen wir, dass wir uns noch einmal treffen können. Wenn die Schattenorganisation wirklich eine Offensive vorbereitet, brauchen wir jeden Mann.«
Tom nickte, sah aber etwas zweifelnd aus und verfolgte genau, wie sie ins Auto stiegen. Beim Abfahren beobachtete Katherina ihn im Rückspiegel. Tom Nørreskov stand allein auf dem Hofplatz und sah ihnen noch eine Weile nach, dann wandte er sich abrupt um und verschwand Richtung Wohnhaus.
»Schon ein bisschen paranoid, oder?«, meinte Jon, als sie die andere Seite des Waldes erreicht hatten.
»16 Jahre allein an diesem Ort, da würde ich auch ein bisschen verrückt werden«, erwiderte Katherina und beeilte sich hinzuzufügen: »Ziemlich verrückt.«
Sie schwiegen auf der Fahrt zurück nach Kopenhagen. Katherina spürte, dass sich Jon erst einmal allein mit den neuen Informationen auseinandersetzen musste, und nutzte die Zeit, um nach Autos Ausschau zu halten, die sie möglicherweise verfolgten. Sie kamen jedoch in Kopenhagen an, ohne einen Landrover oder ein anderes verdächtiges Fahrzeug zu bemerken, und ihre Stimmung besserte sich spürbar, als sie durch die engen Straßen im Stadtzentrum fuhren.
Vor dem Libri di Luca schaltete Jon den Motor aus, machte aber keine Anstalten, den Wagen zu verlassen.
»Ich glaube, ich brauche ein bisschen Zeit zum Nachdenken«, verkündete er und sah sie entschuldigend an.
»Natürlich«, antwortete Katherina. »Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Sag mir Bescheid, wenn ich dir irgendwie helfen
kann.« Sie sah Paw hinter den Schaufenstern des Ladens herumlaufen. »Was sagen wir den anderen?«, fragte sie und deutete mit dem Kopf auf Paw, der jetzt hinter dem Fenster stand, die Arme in die Seiten gestemmt hatte und sie beobachtete.
»Die Frage habe ich mir auch schon gestellt«, sagte Jon. »Die Geheimniskrämerei meines Vaters ist für niemand gut gewesen, im Gegenteil. Vielleicht sollten wir den Leuten einfach reinen Wein einschenken und alles erzählen?« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht verrät sich dann jemand - sollte es denn wirklich einen Maulwurf in den Reihen der Bibliophilen Gesellschaft geben.«
Katherina nickte.
»Heute Abend besuche ich Iversen im Krankenhaus«, erklärte sie. »Ich sage ihm alles, was wir herausgefunden haben. Wir sind es ihm wohl schuldig, ihn als Erstes zu unterrichten.«
»Gut, dann setzen wir Kortmann morgen in Kenntnis«, fügte Jon zufrieden hinzu.
Katherina verabschiedete sich und stieg aus dem Wagen. Jon ließ den Motor an, doch sie bemerkte, dass er erst wegfuhr, als sie sicher im Inneren des Antiquariates war.
»Und?«, fragte Paw, noch ehe sie die Tür geschlossen hatte. »Wie war’s?«
Katherina sah sich im Laden um, um sich zu vergewissern, dass keine Kunden anwesend waren.
»Er hat nichts damit zu
Weitere Kostenlose Bücher