Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek der Schatten Roman

Die Bibliothek der Schatten Roman

Titel: Die Bibliothek der Schatten Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikkel Birkegaard
Vom Netzwerk:
gesprochen hatte.
    Paw stand grinsend hinter ihnen.
    »Und, merkst du was, Jon?«, erkundigte er sich sarkastisch.
    »Nicht das Geringste«, stellte Jon fest und öffnete die Augen.
    Katherina zog die Schultern hoch.

    »Naja, du bist ja auch noch nicht aktiviert. Danach klappt es meistens. Aber nicht alle Aktivierten spüren es.« Sie warf Paw einen Blick zu, dessen Grinsen augenblicklich verschwand.
    »Und, seid ihr so weit?«, fragte Iversen, als er in die Bibliothek kam. Alle nickten, worauf Iversen die Tür schloss. Katherina reichte Iversen das Buch, und sie setzten sich in die Sessel um den Tisch. Einen Augenblick lang war es ganz still. Die Flammen der Kerzen kamen allmählich zur Ruhe. Jons Herz schlug schneller, und seine Hände wurden feucht. Iversen saß ihm gegenüber, Katherina rechts von ihm und Paw links.
    Iversen hob das Buch hoch. Wie die Ausgabe, die Jon in den Händen hielt, hatte auch diese einen Ledereinband. Aus dem ersten Viertel ragte ein weißes Lesezeichen heraus.
    »Dies ist der Text, den wir für die Aktivierung verwenden werden. Es ist der gleiche Text wie der, den du in der Hand hast. Im Grunde genommen geht es nur darum, dass wir gemeinsam lesen. Ich beginne, laut zu lesen, und du fällst ein. Es ist wichtig, dass wir im gleichen Takt lesen, was aber normalerweise kein Problem ist, wenn man erst einmal in Gang gekommen ist.«
    Iversen verstummte und sah Jon erwartungsvoll an, der mit einem kurzen Nicken zu erkennen gab, dass er verstanden hatte.
    »Es ist lange her, dass ich laut gelesen habe«, wandte er unsicher ein. »Jedenfalls richtige Literatur.«
    »Das wird schon klappen. Katherina wird uns helfen, das Tempo zu halten«, erklärte Iversen. »Währenddessen wird sie deine aufkommenden Gefühle verstärken oder dämpfen. Mach dir keine Gedanken, entspann dich einfach, und konzentrier dich aufs Lesen und den Rhythmus. Lass dich von der Geschichte und der Atmosphäre des Buches fangen. Je entspannter du bist, desto leichter geht die Aktivierung vonstatten.«
    Jon nickte und holte tief Luft.

    »Ich bin so weit.«
    Iversen schlug das Buch an der Stelle auf, an der das Lesezeichen steckte.
    »Seite 50«, sagte er.
    Jon blätterte bis zur angegebenen Seite vor.
    Iversen begann mit klarer Stimme ganz langsam zu lesen. Jon las den Text still mit und fiel nach einigen Sätzen ein. Im ersten Absatz musste er sich ein paar Mal räuspern und stark konzentrieren, um Iversens Stimme folgen zu können. Im zweiten Absatz ging es schon viel besser, es fiel ihm leichter, sich anzupassen. Gemeinsam zogen sie die Geschwindigkeit ein wenig an. Als sie umblätterten, sah Jon Iversen kurz an. Er saß zurückgelehnt in seinem Sessel und schaute konzentriert ins Buch. Sein Gesicht strahlte angestrengte Konzentration aus, seine Augenbrauen wanderten nach oben, und er hielt sich das Buch dichter vor die Augen.
    Die Lesung nahm ihren Gang. Jon merkte, wie sich Rhythmus und Tempo stabilisierten und er sich nicht mehr explizit darauf konzentrieren musste. Die Buchstaben und Worte vor seinen Augen boten sich regelrecht an, lockten ihn, sie laut auszusprechen, als hätten sie seit Jahren auf diesen Augenblick gewartet. Nach und nach wurde Iversens Stimme immer leiser, bis Jon irgendwann nur noch seine eigene hörte. Er fühlte sich, als läge er in einem Kanu und triebe in gemächlichem und gleichmäßigem Tempo einen Fluss hinunter. Ein unsichtbarer Unterstrom zog das Boot vorwärts. Nicht einmal wenn er umblätterte, zögerte er. Als wüsste er im Voraus, was auf der nächsten Seite stand.
    Die Buchstaben bekamen schärfere Konturen und traten fast aus dem weißen Hintergrund heraus. Aber auch das Papier änderte seinen Charakter. Aus der dicken, weißen Fläche, deren Struktur man schwach erahnte, wurde der Hintergrund immer glatter und glänzender, wie eine weiß mattierte Glasscheibe, in die die Buchstaben eingeprägt waren. Hinter der
Scheibe wurden Silhouetten sichtbar, die wie in einem unscharfen Schattenspiel auftauchten und wieder verschwanden.
    Jon nahm kaum noch wahr, dass er laut las. Das Lesen lief sozusagen auf Autopilot, und ihm blieb genügend Spielraum, das Zusammenspiel zwischen Buchstaben und Hintergrund zu bewundern. Er konzentrierte sich auf die Schatten, sobald sie erschienen, und war sich bald ganz sicher, dass sie mit der Geschichte zusammenhingen. War in dem Text von zwei Männern zu Pferde die Rede, ahnte er hinter der weißen Scheibe zwei Gestalten auf Pferden. Und wenn im Text eine

Weitere Kostenlose Bücher