Die Bibliothek der Schatten Roman
Steckdosen und Lichtschaltern sprühten Funken. Iversen und Paw liefen herum und versuchten, die Flammen zu löschen, die sich auf dem Teppich und einigen Möbeln entzündet hatten. Paw benutzte dazu seinen Pullover, Iversen hatte sich mit einer Decke bewaffnet.
Katherina saß rechts von Jon und starrte ihn mit ausdruckslosem Blick an. Aus ihrer Nase liefen zwei dünne Blutrinnsale, die sich auf den Lippen vereinten und weiter über das Kinn rannen. Ihre Hände klammerten sich so fest um die Armlehnen, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Jon dachte, es müsse einen neuerlichen Überfall auf den Laden gegeben haben.
»Wer war das?«, stammelte er und merkte, wie trocken sein Hals war.
Paw warf Jon auf dem Weg zu der Steckdose neben der Tür einen Blick zu.
»Hey, er ist wieder da!«, rief Paw Iversen zu und schlug mit seinem Pullover auf die Stichflammen, die aus der Steckdose schossen und auf den Türrahmen übergreifen wollten. »Sie hat es geschafft.«
Jon bemerkte, dass Paws rechter Arm schlaff herunterhing.
»Jon?« Iversen näherte sich ihm vorsichtig. »Jon, klapp das Buch zu. Hörst du mich, Jon?«
Jon drehte das Gesicht zu Iversen, der mit der Decke über dem Arm auf ihn zukam. Jon wollte den Blick wieder auf das Buch richten, aber Iversen hielt ihn davon ab.
»Jon, sieh mich an! Klapp einfach das Buch zu, Jon. Sieh mich an und mach das Buch zu!« In Iversens Blick lag Angst.
Jon hielt Augenkontakt mit Iversen und machte langsam das Buch zu.
»Wer war das?«, wiederholte er seine Frage.
»Das warst du, Jon«, erklärte Iversen und entdeckte im gleichen Augenblick neue Flammen, die hinter Jons Sessel aufloderten. Er lief um ihn herum und schlug mit der Decke auf die Flammen ein, bis sie gelöscht waren. In der Zwischenzeit hatte Paw den Brandherd um die Steckdose unter Kontrolle bekommen. Er stand da und ließ den Blick wachsam durch die Bibliothek schweifen. Der Pullover in seiner Hand rauchte leicht.
Katherina hielt den Kopf gesenkt, so dass ihr Kinn auf dem Brustkorb lag. Ihre Hände waren auf dem Schoß gefaltet wie zum Gebet. Sie zitterten leicht.
Jon versuchte aufzustehen, wurde aber augenblicklich von einem Schwindel erfasst, der ihn zurück in den Sessel zwang. Er spürte Iversens Hand auf seiner Schulter.
»Bleib sitzen, Jon. Gleich ist es überstanden.«
Jon wollte ihn um eine Erklärung bitten, aber ehe er ihm den Kopf zuwenden konnte, verlor er das Bewusstsein.
EINUNDZWANZIG
W ahnsinn!«
Katherina hörte Paws aufgeregte Stimme, die zu ihr durchdrang wie ein plötzlich eingeschaltetes Radio, das viel zu dicht an ihrem Ohr stand. Dem Klang nach war sie im Laden, und das Leder unter ihr ließ vermuten, dass sie auf dem Sessel hinter dem Kassentisch saß. Sie hatte den Kopf auf die Schulter gelegt.
Aber warum saß sie hier? Und warum war sie so erschöpft, dass sie die Augen nicht öffnen konnte? Was war geschehen?
Sie hörte, dass Iversen Paw etwas beherrschter antwortete. Seine Stimme klang sehr ernst.
»Das hätte richtig schiefgehen können«, meinte er. »Dabei wissen wir noch gar nicht, wie es ihnen geht. Was ist mit dir? Wie geht es deinem Arm?«
»Schon okay«, antwortete Paw beiläufig. »Er kribbelt etwas, als wäre er eingeschlafen. Aber echt, das war schon verrückt, als der mir diesen elektrischen Schlag versetzt hat. Wie war das möglich?«
»Ich weiß nicht, Paw«, antwortete Iversen müde.
»Wenn alle Aktivierungen so abgehen, brauchen wir dafür mehr Leute«, sagte Paw entschieden.
»Das war alles andere als normal«, unterstrich Iversen. »Ich … so etwas habe ich noch nie gesehen.«
Katherina spürte die Nervosität in Iversens Stimme. Er hatte Angst. Warum? Sie versuchte, sich zu erinnern, und zuckte zusammen, als sie an den Keller dachte, Jon, die Aktivierung.
»Ist sie wach?«
Katherine bemerkte, dass sich jemand über sie beugte.
»Nein«, sagte Iversens Stimme dicht vor ihr. »Sie hat nur gezuckt.«
Sie hielt sie noch eine Weile auf Abstand. Erst musste sie herausfinden, was geschehen war.
Sie waren alle vier für Jons Aktivierung im Keller gewesen. Sie hatte den Raum selbst vorbereitet und Kerzen aufgestellt. Es sollte so gemütlich wie möglich sein, wie wenn man ein neues Mitglied in die Familie aufnahm, aber irgendetwas war schiefgegangen.
Zu Beginn war alles nach Plan verlaufen. Iversen hatte zu lesen begonnen, und Jon war rasch in seinen Rhythmus eingefallen, nachdem sie ihm geholfen hatte, seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf den
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