Die Biene Maja
der Brautflug unserer Königin, Häuser, die auf dem Wasser schwimmen, und andere, die schneller als ein Vogel über das Land dahingleiten, auf zwei schmalen silbernen Straßen.«
»Halt!« sagte Puck energisch, »wer ist denn überhaupt Kassandra? Wer ist das, wenn ich fragen darf? Nun?«
»Ach so,« sagte Maja, »es ist meine Erzieherin gewesen.«
»Eine Erzieherin,« wiederholte Puck geringschätzig, »wahrscheinlich also eine Biene. Wer anders könnte zu solcher Überschätzung des Menschen kommen. Dieses Fräulein Kassandra, oder wie sie sich rufen läßt, hat keine geschichtliche Kenntnis. Die Einrichtungen der Menschen, von denen Sie eben gesprochen haben, sind sämtlich ohne besonderen Wert für uns. Wer wird die Welt so unpraktisch sehen, wie Sie es tun. Wenn Sie nicht von der Voraussetzung ausgehen, daß die Erde von den Fliegen beherrscht wird, daß die Fliegen das verbreitetste und wichtigste Geschlecht sind, werden Sie die Welt kaum richtig erkennen lernen.«
Puck machte ein paar aufgeregte Zickzackwege auf dem Blatt und riß an ihrem Kopf, so daß Maja ganz besorgt wurde. Aber die kleine Biene hatte nun doch gemerkt, daß sie nicht gar zuviel Gescheites von der Fliege erfahren würde.
»Wissen Sie, woran Sie sehen können, daß ich recht habe?« fragte Puck, und rieb sich die Hände, als ob sie sie miteinander verknoten wollte, »zählen Sie in einer Stube die Menschen und die Fliegen. Das Resultat wird Sie in ungeahnter Weise in Erstaunen setzen.«
»Vielleicht haben Sie recht,« sagte Maja, »aber darauf kommt es nicht an.«
»Glauben Sie übrigens, ich sei diesjährig?« fragte Puck plötzlich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Maja.
»Ich habe überwintert«, berichtete Puck stolz. »Meine Erfahrungen gehen bis in die Eiszeit. Sie führen gewissermaßen mitten hindurch. Darum weile ich hier jetzt zur Erholung.«
»Mut haben Sie jedenfalls«, meinte Maja.
»O ja«, rief Puck und machte einen kleinen Luftsprung in die Sonne. »Die Fliegen sind das kühnste Geschlecht, das die Erde bevölkert. Sie werden überall sehen, daß wir stets nur dann flüchten, wenn es besser ist, aber wir kommen immer wieder. Haben Sie schon einmal auf einem Menschen gesessen?«
Maja verneinte und sah schräg und mißtrauisch auf die Fliege. Sie wußte immer noch nicht recht, was sie von ihr halten sollte.
»Nein,« sagte sie nun, »ich habe kein Interesse daran.«
»Weil Sie es nicht kennen, meine Liebe! Wenn Sie einmal das muntere Spiel beobachtet hätten, das ich daheim mit dem Menschen treibe, so würden Sie vor Neid auswandern. Trotzdem will ich es Ihnen erzählen. In meinem Zimmer wohnt ein älterer Mensch, der die Farbe seiner Nase durch ein eigenartiges Getränk pflegt, das in einem Eckschrank verborgen ist. Es duftet betäubend und süß; wenn er darauf zugeht, um es sich zu holen, lächelt er, und die Augen werden klein. Er nimmt ein Gläschen, und wenn er trinkt, schaut er zur Decke herauf, ob ich schon da bin. Ich nicke ihm zu, und er fährt sich mit der Hand über Stirn, Nase und Mund, um mir anzudeuten, wo ich später sitzen soll. Dann blinzelt er und reißt den Mund auf, so weit er kann, und zieht die Vorhänge am Fenster zu, damit die Nachmittagssonne uns nicht stört. Endlich legt er sich auf ein Ruhebett, das Sofa genannt wird, und stößt nach kurzer Zeit dumpfe krächzende Laute aus, die er sicher für schön hält. Darüber wollen wir ein andermal reden, es ist der Schlummergesang des Menschen. Für mich ist es das Zeichen, mich zu nähern. Zunächst nehme ich meinen Anteil aus dem Glase, den er für mich zurückgelassen hat. Solch ein Tröpflein hat etwas außerordentlich Belebendes, ich verstehe den Menschen. Dann fliege ich hinzu und nehme auf der Stirn des Ruhenden Platz. Sie liegt zwischen der Nase und dem Haar und dient zum Denken. Man sieht es an den langen Falten, die sich wie Furchen von rechts nach links ziehen, und die beim Denken bewegt werden müssen, wenn etwas Rechtes dabei herauskommen soll. Auch wenn der Mensch verdrießlich ist, zeigt es sich dort, aber dann laufen die Furchen von oben nach unten und über der Nase bildet sich eine runzelige Erhöhung.
Sobald ich sitze und in den Furchen hin und her laufe, fängt der Mensch an, mit der Hand in die Luft zu greifen. Er meint, ich sei dort irgendwo. Weil ich auf seinen Denkfalten sitze, kann er nicht so rasch herausbringen, wo ich mich eigentlich befinde. Aber endlich kommt er dahinter. Er knurrt und greift nach mir. Na,
Weitere Kostenlose Bücher