Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
drang durch die Nacht. Es war zwar kein Kirchenlied, klang aber genau wie eins. Ich folgte dem Klang, und da war Rosaleen, mitten im Fluss, nicht einen Fetzen ihrer Kleider am Leib. Von ihren Schultern perlten Wassertropfen, die wie Milch schimmerten, und ihre Brüste wogten im Strom. Diesen Anblick werde ich nie vergessen. Ich konnte nicht anders, ich wollte zu ihr gehen und die Milchtropfen von ihren Schultern lecken.
Ich machte den Mund auf. Ich wollte etwas. Etwas, aber ich wusste nicht genau, was. Mutter, verzeih mir . Das war alles, was ich fühlte. Die vertraute Sehnsucht breitete sich um mich herum aus und hielt mich fest wie in einem großen Schoß.
Weg mit den Schuhen, der Hose, meinem Oberteil. Bei den Unterhosen zögerte ich, aber auch die zog ich aus.
Das Wasser fühlte sich an, als ob ein Gletscher an meinen Beinen schmelzen würde. Ich muss vor Kälte gekeucht haben, denn Rosaleen blickte auf und sah mich nackt durchs Wasser kommen und fing an zu lachen. »Sieh mal, wie du hier rumstolzierst, wie Fräulein Wackelbusen.«
Ich ließ mich neben ihr nieder und hielt in der stechenden Kälte des Wassers den Atem an. »Es tut mir Leid«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte sie, »mir auch.« Sie streckte ihre Hand aus und tätschelte die Rundung meines Knies, als ob sie Kuchenteig kneten müsste.
Im Mondlicht konnte ich ganz deutlich bis zum Grund des Wassers sehen, zu einem Teppich aus Kieseln. Ich hob einen Stein auf - er war rötlich, rund, ein sanftes Wasserherz. Ich steckte ihn mir in den Mund und lutschte daran, um an das Mark in seinem Innern zu kommen.
Ich lehnte mich zurück auf die Ellbogen und glitt hinab, bis mein Kopf ganz unter Wasser war. Ich hielt den Atem an und hörte, wie der Fluss an meinen Ohren entlangstrich und sank, so tief es ging, in diese dunkle, glitzernde Welt. Aber ich musste an einen Koffer denken, der auf dem Boden liegt, an ein Gesicht, dass ich nie ganz erkennen konnte, und an den süßen Geruch von Sahne.
Die Königin ist im Stock schwer zu finden. Jungen Imkern bringt man daher bei, dass es einfacher ist, zuerst den inneren Kreis ihres Gefolges zu lokalisieren.
KAPITEL 3
Nach Shakespeare war Thoreau mein Lieblingsschriftsteller. Mrs. Henry las mit uns ein paar Auszüge aus »Walden oder Leben in den Wäldern«, und von da an träumte ich von einem geheimen Garten, in dem ich für T. Ray unauffindbar wäre. Thoreau öffnete mir die Augen für die Schätze, die Mutter Natur dieser Welt geschenkt hatte. Ich stellte sie mir vor wie Eleanor Roosevelt.
Am anderen Morgen, als ich am Flusslauf auf meinem Bett aus wildem Wein wach wurde, kam mir das alles wieder in den Sinn: Eine Barke aus Nebel glitt über das Wasser, irisierend blaue Libellen schossen in der Luft vor und zurück, als würden sie ein unsichtbares Gespinst weben. Der Anblick war so schön, dass ich für einen kurzen Moment die Schwermut vergaß, die ich in mir trug, seit mir T. Ray das mit meiner Mutter erzählt hatte. Jetzt war ich am Walden Pond. Heute ist der erste Tag in meinem neuen Leben, sagte ich mir.
Rosaleen schlief mit offenem Mund, ein langer Speichelfaden hing von ihrer Unterlippe herab. Ich erkannte an der Art und Weise, wie sie die Augen unter ihren Lidern hin und her rollte, dass in ihrem Kopf gerade ein Traum abgespult wurde. Ihr verschwollenes Gesicht schaute schon etwas besser aus, aber jetzt bei Tageslicht entdeckte ich auch auf ihren Armen und Beinen blauviolette Flecke. Gemessen am Stand der Sonne mussten wir schon den halben Morgen verschlafen haben.
Ich wollte Rosaleen nicht aufwecken, also zog ich das hölzerne Bild der Maria aus meiner Tasche und lehnte es an einen Baumstamm, um es in Ruhe zu betrachten. Ein Marienkäfer krabbelte darüber und blieb auf der Wange der Heiligen Mutter Gottes sitzen - wie ein Schönheitsfleck. Ich fragte mich, ob Maria wohl gerne draußen in der Natur gewesen war und ob sie Bäume und Insekten eigentlich lieber gemocht hätte als diesen Heiligenschein, den ihr die Kirche verpasst hatte.
Ich lehnte mich zurück und versuchte, eine einleuchtende Erklärung dafür zu finden, warum meine Mutter eigentlich das Bild einer schwarzen Maria besessen hatte. Mir fiel nichts Sinnvolles ein, aber das lag wahrscheinlich auch daran, dass ich überhaupt nichts von Maria wusste, denn bei uns in der Kirche spielte sie keine besonders große Rolle. Und über Katholiken sagte Bruder Gerald immer, dass ihnen die Feuer der Hölle sicher seien. In Sylvan gab es ja auch
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