Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
der Welt habe ich ihr nicht mehr Liebe gegeben?
Miss Lacys Telefon stand direkt auf ihrem Schreibtisch. Ich nahm den Hörer ab und wählte die 0 für die Vermittlung. »Ich möchte ein R-Gespräch anmelden«, sagte ich und gab ihr die Nummer. Noch schneller, als ich erwartet hatte, hörte ich das Telefon in meinem Haus klingeln. Ich sah den Gang hinunter zu der geschlossenen Tür und zählte das Läuten. Drei, vier, fünf, sechs.
»Hallo.« Als ich seine Stimme hörte, schnürte sich mir die Kehle zu. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass meine Knie nachgeben würden. Ich musste mich in Miss Lacys Stuhl setzen, mit Beinen wie Wackelpudding.
»Ich habe ein R-Gespräch von einer Lily Owens«, sagte die Vermittlung. »Wollen sie es annehmen?«
»Und ob ich verdammt noch mal will«, sagte er. Dann, ehe ich auch nur einen Pieps machen konnte, legte er los. »Lily, wo zum Teufel steckst du?«
Ich musste mir den Hörer vom Ohr weghalten, weil ich Angst hatte, mein Trommelfell würde platzen. »T. Ray, es tut mir Leid, dass ich weggelaufen bin, aber...«
»Du sagst mir jetzt auf der Stelle, wo du bist, verstanden? Hast du’ne Ahnung, was ich für Ärger am Hals hab? Rosaleen aus dem Krankenhaus rauszuholen - verdammte Scheiße, was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«
»Ich war doch nur...«
»Ich sag dir, was du warst. Du warst ein verdammter Idiot, der’nen Haufen Ärger gesucht hat, und den haste gekriegt. Wegen dir kann ich nich’ mal die Straße in Sylvan runter gehn, ohne dass mich alle anstarren. Ich musste alles stehn und liegen lassen, um den halben Erdkreis nach dir abzusuchen, und inzwischen sind die Pfirsiche zum Teufel gegangen.«
»Hör bitte auf zu schreien. Ich hab gesagt, es tut mir Leid.«
»Dass es dir Leid tut, nützt mir verdammt gar nix! Davon kann ich nich’ einen beschissenen Pfirsich verkaufen, Lily! Ich schwör bei Gott...«
»Ich hab dich angerufen, weil ich etwas wissen wollte.«
»Wo bist du? Sag’s mir sofort!«
Ich drückte meine Hand in die Armlehne des Stuhls, bis meine Knöchel schmerzten. »Ich wollte wissen, ob du weißt, was meine Lieblingsfarbe ist.«
»Gott Allmächtiger, was redest du da für einen Mist? Du sagst mir jetzt, wo du bist!«
»Ich sagte, weißt du, was meine Lieblingsfarbe ist?«
»Ich weiß nur eins, dass ich dich finden werde, Lily, und wenn ich dich finde, zerreiße ich dich in Stücke...«
Ich legte den Hörer auf und setzte mich wieder auf das Sofa. Ich saß in der Helligkeit des Nachmittags und sah auf den Lichtstreifen unter den Jalousien. Ich sagte mir: Nicht weinen. Fang bloß nicht an zu weinen. Und wenn er deine Lieblingsfarbe nicht kennt. Was soll’s.
Zach kam zurück, mit einem großen braunen Buch, das uralt sein musste, weil es völlig vermodert aussah. »Guck mal, was mir Mr. Clayton gegeben hat«, sagte er, und wirklich, man hätte meinen können, er hielte ein sechs Pfund schweres Baby im Arm, das er gerade mit auf die Welt gebracht hatte, so stolz sah er aus.
Er drehte es um, und ich konnte den Buchrücken sehen. Gerichtsakten von South Carolina 1889. Zach fuhr mit der Hand über die Vorderseite, und kleine Stückchen des Einbands fielen auf den Boden. »Das ist der Anfang zu meiner eigenen Rechtsbibliothek.«
»Das ist toll«, sagte ich.
Mr. Forrest kam näher und sah mich so durchdringend an, dass ich dachte, ich hatte sicher vergessen, mir die Nase zu putzen.
»Zach sagte, du bist aus Spartanburg County, und deine Eltern sind tot?«
»Ja, Sir.« Ich wollte ganz sicher nicht in den Zeugenstand und hier in seinem Büro von ihm ins Kreuzverhör genommen werden. Denn danach müssten Rosaleen und ich dann wohl wieder unsere Sachen packen und ins Gefängnis zurück.
»Was führt dich denn...«
»Ich muss wirklich dringend wieder zurück.« Ich legte eine Hand auf meinen Bauch. »Ich habe ein kleines Frauenleiden.« Ich versuchte dabei, sehr weiblich und geheimnisvoll auszusehen, ein wenig verstört wegen all der Dinge in meinem Innern, die sie sich kaum vorstellen konnten und noch weniger wollten. Ich hatte seit einem Jahr jetzt die Erfahrung gemacht, dass mich das Wort »Frauenleiden« an Orte bringen konnte, an die ich wollte, und weg von Orten, an denen ich nicht sein wollte.
»Oh«, sagte Zach. »Komm, lass uns gehen.«
»Es war nett, Sie kennen zu lernen, Mr. Forrest«, sagte ich. Drückte die Hand auf meinen Unterleib. Jetzt noch ein bisschen zusammenzucken. Und dann leicht gebeugt zur Tür gehen.
»Glaub mir,
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