Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
Lily«, rief er hinter mir her, »das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.«
Wie viele Briefe schreibt man eigentlich, von denen man weiß, dass man sie niemals absenden wird, sie aber trotzdem schreiben muss? Als ich wieder im Honighaus in meinem Zimmer saß, schrieb ich einen Brief an T. Ray. Dabei brach mir dreimal die Mine ab, und die Worte - nun, die Worte sahen aus, als wären sie dem Papier mit dem Brandeisen aufgedrückt worden.
Lieber T. Ray,
Ich bin es unendlich leid, dass Du mich anschreist. Ich bin nicht taub. Ich bin nur blöd genug gewesen, Dich anzurufen.
Wenn Du von Marsmenschen gefoltert werden würdest und das Einzige, was Dich retten könnte, wäre, ihnen meine Lieblingsfarbe zu nennen, Du würdest auf der Stelle sterben müssen. Was hab ich mir bloß dabei gedacht? Ich musste mich doch bloß an die Karte erinnern, die ich Dir zum Vatertag gemacht habe, als ich neun war, als ich noch gehofft hatte, Du würdest mich lieben. Erinnerst Du Dich an die Karte? Natürlich nicht. Ich aber, denn ich habe mir fast ein Bein ausgerissen, um sie zu machen. Ich habe Dir nie erzählt, dass ich die halbe Nacht lang im Wörterbuch nach Wörtern gesucht habe, die mit den Buchstaben von VATER anfangen. Die Idee dazu kam, nicht dass Dich das interessieren würde, von Mrs. Poole, die das in der Schule mit dem Wort FREUDE gemacht hat. FREUDE - Frömmigkeit, Rücksicht, Ehrlichkeit, Umsicht, Demut, Ergebenheit.
Dies sei der rechte Weg zu Gott, sagte sie, und wenn man ihn befolgt, dann wäre das Leben voller Freude. Nun, das habe ich versucht, ich war demütig und ergeben, aber ich warte immer noch auf die Freude. Das Ganze hat also nichts genützt, außer, dass ich die Idee hatte, Dir eine Karte zu machen. Ich dachte, wenn ich Dir die Bedeutung von VATER aufschreibe, würde es Dir vielleicht helfen, einer zu sein. Ich wollte sagen, hier, probier das mal, es würde mich so glücklich machen. Ich benutzte damals Wörter wie verständnisvoll, voller Zärtlichkeit.
Ich hatte gedacht, Du würdest die Karte auf Deinem Nachttisch aufstellen, aber am nächsten Tag lag sie auf dem Telefontischchen, Du hattest einen Pfirsich darauf geschält und die Schalen klebten auf dem Papier. Ich wollte Dir immer schon einmal sagen: Das war VERABSCHEUUNGSWÜRDIG.
V - Verabscheuungswürdig
A - Anwidernd
T - Tyrannisch
E - Enttäuschend
R - Rücksichtslos
Das hier zu schreiben, ist sicher nicht der rechte Weg der Demut, aber es bringt mir Freude, Dir das ins Gesicht zu sagen.
In Liebe
Lily
P. S: Ich glaube Dir nicht mal eine halbe Sekunde lang, dass meine Mutter mich verlassen hat.
Ich las den Brief noch einmal, dann zerriss ich ihn. Ich fühlte mich erleichtert, dass ich das alles einmal losgeworden war, aber ich hatte gelogen, es hatte mir keine Freude gebracht. Ich war drauf und dran, noch einen Brief zu schreiben, den ich auch nicht abschicken würde, um zu sagen, dass es mir Leid täte.
Als in dieser Nacht das rosa Haus in tiefem Schlummer lag, schlich ich mich hinein, ich musste ins Badezimmer. Ich hatte nie Mühe, mich zurechtzufinden, weil Augusta immer ein paar Lichter auf dem Weg von der Küche bis zum Badezimmer brennen ließ.
Ich war barfuß, und unter meinen Fußsohlen sammelte sich Tau. Ich saß auf der Toilette und versuchte, ganz leise zu pinkeln, und entdeckte unter meinen Zehen Blütenblätter von der Myrte im Garten. Rosaleens Schnarchen über mir drang durch die Decke. Es ist immer eine unbeschreibliche Erleichterung, die Blase zu entleeren. Besser als Sex, fand Rosaleen. So gut das Gefühl auch war, ich hoffte inständig, dass sie Unrecht hatte.
Ich ging zurück Richtung Küche, aber dann ließ mich etwas umkehren. Drei Mal darf man raten, was ich tat. Ich ging in die Gegenrichtung in den Salon. Als ich das Zimmer betrat, hörte ich ein so tiefes und zufriedenes Seufzen, dass mir im ersten Moment gar nicht bewusst war, dass es aus meiner Kehle gekommen war.
Die Kerze in dem roten Glas neben der Marienstatue brannte noch, ein kleines rotes Herz in einer tiefdunklen Höhle, das sein pulsierendes Licht in die Welt schickte. Augusta ließ die Kerze Tag und Nacht brennen. Das war wie die ewige Flamme, die auf das Grab von John F. Kennedy gestellt worden war und die nie ausgehen wird, gleich, was auch geschieht.
Unsere Liebe Frau der Ketten sah spät am Abend so anders aus, ihr Gesicht wirkte älter und dunkler, ihre Faust größer, als ich in Erinnerung hatte. Ich fragte mich, an was für Orte sie
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