Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
hungrig, und Rosaleen meinte, ich sollte mich noch ein wenig zügeln. Ihre Unterlippe war mit Red Rose Kautabak ausgestopft. Der Geruch folgte ihr durch die Küche, als trüge sie ihn an einer Leine hinter sich her - eine Mischung aus Gewürzen, frischer Erde und verrotteten Blättern. Außer Okra und Kautabak konnte ich nichts riechen. Rosaleen ging hinüber zur kleinen Veranda, lehnte sich aus der Tür hinaus und spuckte einen kleinen Strahl, so gezielt wie aus einer Spraydose, über die Hortensien.
Niemand konnte spucken wie Rosaleen. Ich hatte mir einmal ausgemalt, wie sie hundert Dollar in einem Spuckwettbewerb gewinnen würde, und wie wir beide dann in ein schönes Motel in Atlanta gehen und mit dem Preisgeld den Zimmerservice bestellen würden. Ich hatte immer davon geträumt, einmal in einem Motel zu übernachten, aber wenn man mir in diesem Moment ein Bett in einem Luxusmotel mit beheiztem Swimmingpool und Fernsehen angeboten hätte, ich hätte es zu Gunsten meines Feldbetts im rosa Haus abgelehnt.
Es war allerdings ein paar Mal geschehen, dass ich direkt nach dem Wachwerden an mein altes Haus gedacht hatte und es ein oder zwei Sekunden lang vermisste, bis mir wieder einfiel, wie ich auf dem Küchenboden knien musste und wie sich die Grießflocken in meine Knie einschnitten, oder wie ich versuchte, einen großen Bogen um T. Rays schlechte Laune zu machen, und dann doch mittendrin landete. Mir fiel ein, wie er immer über mich herfiel und dabei Jesus Barmherziger, Jesus Barmherziger! schrie. Bei den schlimmsten Schlägen, die ich je bekommen hatte, gönnte er mir nur deshalb eine kleine Atempause, weil ich ihn fragte, warum er eigentlich dabei nach dem Barmherzigen rief. Ich brauchte nur einen kurzen Moment in Erinnerungen zu schwelgen, und das Heimweh nach meinem alten Zuhause war wie weggeblasen.
Augusta und Zach kamen in die Küche.
»Du meine Güte, Okra und Schweinekoteletts zum Mittagessen, was ist denn hier los?«, fragte Augusta May.
May huschte zu ihr rüber und sagte dann mit leiser Stimme: »Es sind jetzt fünf Tage, seit ich das letzte Mal bei der Mauer war«, und ich konnte sehen, wie stolz sie war und dass sie hoffte, die Tage ihres hysterischen Weinens seien vorüber, und dass sie das mit einem Okra-Essen feiern wollte.
Augusta lächelte sie an. »Fünf Tage, ist das wahr? Nun, das muss allerdings gefeiert werden«, sagte sie. Und May strahlte über das ganze Gesicht.
Zach ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Bist du mit dem Honig-Ausliefern fertig?«, fragte ihn Augusta.
»Ich bin nur noch nicht in Mr. Claytons Anwaltskanzlei gewesen«, sagte er. Er spielte mit allem herum, was gerade in seiner Reichweite war. Erst mit dem Platzdeckchen, dann einem Faden an seinem Hemd. Als ob er kurz davor wäre, mit etwas herauszuplatzen.
Augusta sah, was los war. »Möchtest du uns vielleicht irgendetwas mitteilen?«
»Ihr werdet nicht glauben, was in der Stadt erzählt wird«, sagte er. »Sie sagen, Jack Palance käme dieses Wochenende in die Stadt, und zwar in Begleitung einer Farbigen.«
Wir hörten alle augenblicklich mit dem auf, womit wir gerade beschäftigt waren, und sahen einander an.
»Wer is’n Jack Palance?«, sagte Rosaleen. Sie sprach mit offenem Mund. Obwohl wir noch nicht mit dem Essen angefangen hatten, hatte sie schon ein Stück Kotelett abgebissen und kaute darauf herum. Ich versuchte, ihrem Blick zu begegnen und auf meinen geschlossenen Mund zu zeigen, in der Hoffnung, sie würde es kapieren.
»Er ist ein Filmstar«, sagte Zach.
June schnaubte verächtlich. »Na, wer glaubt denn so was ? Wieso sollte wohl ein Filmstar nach Tiburon kommen?«
Zach zuckte mit den Schultern. »Es heißt, seine Schwestern leben hier, und er kommt zu Besuch und will am Freitag diese farbige Frau mit ins Kino nehmen. Aber nicht oben auf den Balkon, sondern er will unten mit ihr sitzen, in der Sektion der Weißen.«
Augusta drehte sich zu May. »Warum gehst du nicht in den Garten und pflückst uns ein paar Tomaten zum Essen?«, sagte sie und wartete, bis May zur Tür hinaus war. Sie hatte eindeutig Angst, dass Jack Palance, der versuchte, sich im Kino von Tiburon über die Rassentrennung hinwegzusetzen, unser Okrafest ruinieren könnte. »Sind die Leute deshalb sehr aufgebracht?«, fragte sie Zach. Sie sah ausgesprochen ernst aus.
»Oh ja, Ma’am«, sagte er. »In Garretts Werkzeugladen waren ein paar weiße Männer, die sagten, sie würden vor dem Kino Wache stehen.«
»Gott, jetzt geht’s
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