Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
doch hier eine mitten unter uns sitzt. Offenbar sahen sie mich nicht als jemanden, der anders war als sie.
Bis dahin hatte ich immer gedacht, das ganz große Ding sei, dass sich Weiße und Farbige endlich verstünden. Aber jetzt fand ich, es wäre viel besser, wenn wir alle einfach farblos wären. Ich dachte an diesen Polizisten, diesen Eddie Hazelwurst, der gesagt hatte, ich würde mich herablassen, weil ich in einem Haus voller schwarzer Frauen lebte. Dieser Eddie Hazelwurst. Was für ein Mistkerl.
Ich war so voller warmer Gefühle ihnen gegenüber, dass ich nach meinem Tod gerne im Fenster der Bank ausliegen würde, um den Töchtern Mariens etwas zu lachen zu geben.
Am zweiten Morgen der Totenwache, lange bevor die Töchter eintrafen und noch bevor June aus ihrem Zimmer gekommen war, hatte Augusta Mays Abschiedsbrief gefunden, er hatte an den Wurzeln einer Eiche festgehangen, nur wenige Schritte von der Stelle entfernt, wo sie gestorben war. Der Wald hatte ihn unter frischen Blättern begraben.
Rosaleen machte zu Ehren von May Bananencremekuchen, und ich saß am Tisch, versuchte meine Frühstücksflocken zu essen und etwas Vernünftiges im Radio zu finden, als Augusta in die Küche stürzte, mit dem Zettel in beiden Händen, so als ob die Worte vom Papier fallen würden, wenn sie ihn nicht sehr vorsichtig festhielte.
Sie rief die Treppen hinauf: »June, komm runter. Ich habe einen Brief von May gefunden.«
Augusta breitete ihn auf dem Tisch aus und stand mit zusammengepressten Händen davor. Ich stellte das Radio aus und starrte auf das bekritzelte Papier, auf dem die Worte fast verblichen waren, nach seinen Nächten draußen im Wald.
Junes nackte Füße trapsten auf den Stufen, sie stürmte in das Zimmer. »Oh Gott, Augusta, was hat sie denn geschrieben?«
»Es klingt so sehr nach... May«, sagte Augusta, und sie hob den Zettel auf und las uns vor.
Liebe Augusta und June,
es tut mir Leid, dass ich Euch so verlassen muss. Ich weiß, Ihr werdet traurig sein, aber denkt daran, wie glücklich ich mit April, Mama, Papa und Big Mama sein werde. Stellt Euch vor, wie wir alle zusammen sind, das wird Euch helfen. Ich will nicht länger das Leiden der Welt mit mir herumtragen. Ich werde es jetzt niederlegen. Für mich ist es an der Zeit zu sterben, aber für Euch ist es an der Zeit zu leben.
In Liebe,
May
Augusta legte den Zettel wieder hin und wandte sich zu June. Sie öffnete die Arme, und June sank hinein. Sie hielten sich aneinander fest - die kleine Schwester an der großen, Busen an Busen.
Sie standen dort so lange, dass ich mich fragte, ob Rosaleen und ich lieber hinausgehen sollten, aber schließlich lösten sie sich voneinander, und wir alle setzten uns hin, und der Duft von Bananencremekuchen hüllte uns ein.
June sagte: »Glaubst du, es war wirklich an der Zeit für sie zu sterben?«
»Ich weiß nicht«, sagte Augusta. »Vielleicht. Aber mit einem hatte sie Recht. Für uns ist es an der Zeit zu leben. Das war ihr letzter Wille, June, also sollten wir uns danach richten, klar?«
»Was genau meinst du?«, fragte June.
Wir beobachteten, wie Augusta zum Fenster ging, ihre Hände auf die Fensterbank stützte und in den Himmel sah. Er war aquamarinblau und glänzte wie Seide. Ich hatte das Gefühl, sie traf eine große Entscheidung.
June zog einen Stuhl vom Tisch weg und setzte sich. »Augusta, was ist denn?«
Als Augusta zum Tisch zurückkam, hatte sie ihr Kinn entschlossen vorgeschoben. »Ich werde dir jetzt etwas sagen, June.« Sie ging zu ihr und stellte sich dicht vor sie. »Du hast jetzt lange genug auf Sparflamme gelebt. May hat uns gesagt, wenn es Zeit ist zu sterben, dann muss man sterben, und wenn es Zeit ist zu leben, lebe. Aber nicht so ein kleines, vorsichtiges Leben, sondern ein Leben in vollen Zügen, ohne Angst und ohne Furcht.«
»Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst«, sagte June.
»Ich sage dir, heirate Neil.«
»Was?«
»Seit Melvin Edwards damals vor all diesen Jahren einen Rückzieher gemacht hat, hast du Angst gehabt, jemanden zu lieben, hast dich geweigert, das Glück beim Schopf zu packen. Aber wie May gesagt hat, es ist Zeit zu leben.«
Junes Mund klappte weit auf, aber über ihre Lippen kam nicht ein Wort.
Auf einmal roch es in der Küche nach Verbranntem. Rosaleen riss die Ofentür auf und zog den Kuchen heraus, der Tortenguss war schwarz.
»Wir essen ihn trotzdem«, sagte Augusta. »Ein bisschen Verbranntes hat noch keinem geschadet.«
Wir hielten
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