Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
hätte, dass du verhaftet worden bist, anstatt es vor ihr geheim zu halten, wäre auch nichts passiert. Oder wenn ich May davon abgehalten hätte, in jener Nacht zur Mauer zu gehen, auch dann wäre das nicht passiert. Und was, wenn ich nicht so lange gewartet hätte, bevor ich nach ihr gesucht habe...« Sie sah hinunter auf Mays Leichnam. »Aber letztlich war es Mays Entscheidung, Zach.«
Ich hatte trotzdem Angst, die Schuld würde irgendwie einen Weg finden, an ihnen zu haften. Denn damit kannte ich mich aus.
»Ich könnte noch gut deine Hilfe gebrauchen, um die Stöcke zu verhängen«, sagte Augusta zu Zach, als er und Clayton aufbrechen wollten. »Erinnerst du dich, wie wir es damals gemacht haben, als Esther starb?« Sie sah zu mir herüber und sagte: »Esther war eine Tochter Mariens, die letztes Jahr verstorben ist.«
»Natürlich, ich bleib hier und helfe«, sagte Zach.
»Willst du mit, Lily?«, fragte Augusta.
»Oh ja, Ma’am.« Die Stöcke verhängen - ich hatte keine Ahnung, was das hieß, aber ich wollte es um keinen Preis verpassen.
Nachdem sich Clayton verabschiedet hatte, setzten wir unsere Hüte und Schleier auf und gingen raus zu den Stöcken, wir trugen Berge von schwarzem Krepp, der in große Vierecke geschnitten war. Augusta zeigte uns, wie man ein Viereck über einen Stock drapieren, mit einem Ziegel befestigen und dabei aufpassen musste, dass man den Eingang zum Stock frei ließ.
Ich sah, wie Augusta einen Moment lang vor jedem Stock einfach nur still dastand, ihre Finger unter dem Kinn. Warum genau machen wir das eigentlich?, hätte ich sie gerne gefragt, aber es schien ein heiliges Ritual zu sein, das ich besser nicht stören sollte.
Als wir alle Stöcke verhüllt hatten, standen wir unter den Kiefern und besahen uns diese kleine Stadt aus schwarzen Gebäuden. Eine Stadt der Trauer. Selbst das Summen hörte sich unter den schwarzen Tüchern irgendwie klagend an, dunkel und getragen, so müssen wohl bei Nacht Nebelhörner über dem Meer klingen.
Augusta setzte ihren Hut ab und ging zu den Gartenstühlen, Zach und ich folgten ihr. Wir saßen, die Sonne im Rücken, und sahen hinüber zur Klagemauer.
»In den alten Zeiten haben die Imker immer ihre Stöcke verhüllt, wenn jemand aus ihrer Familie gestorben war«, sagte Augusta.
»Erzähl ihr doch von Aristäos«, sagte Zach.
»Oh ja, Aristäos. Die Geschichte sollte jeder Imker kennen.« Sie lächelte mich an. Jetzt würde ich Lektion Zwei meiner Imker-Amtseinführung erhalten, nach Lektion Eins, meinem ersten Stich. »Aristäos war der erste Imker aller Zeiten. Eines Tages starben alle seine Bienen, es war eine Strafe der Götter für etwas, was Aristäos getan hatte. Die Götter verlangten, dass er einen Bullen töten müsse, um zu zeigen, dass er bereue, und dann sollte er nach neun Tagen zu dem Kadaver zurückkehren und hineinschauen. Nun, Aristäos tat, wie ihm die Götter geheißen hatten, und als er zu dem Kadaver zurückkehrte, sah er einen Bienenschwarm aus dem toten Bullen herausfliegen. Es waren seine eigenen Bienen, die wiedergeboren waren. Er brachte sie zurück zu den Stöcken, und seitdem glauben die Menschen, dass die Bienen Macht über den Tod haben. Aus diesem Grund ließen auch die alten Könige in Griechenland ihre Gräber in Form von Bienenkörben errichten.«
Zach saß da, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und sah auf einen Kreis von Grasbüscheln, die immer noch fett und smaragdgrün an unseren Tanz um den Rasensprenger erinnerten.
»Wenn eine Biene fliegt, eine Seele den Tod besiegt«, sagte er.
Ich warf ihm einen verständnislosen Blick zu.
»Ein altes Sprichwort«, sagte Augusta. »Es heißt, dass die Seele eines Toten wiedergeboren wird, wenn Bienen in der Nähe sind.«
»Steht das in der Bibel?«, sagte ich.
Augusta lachte. »Nein, aber damals, als sich die Christen vor den Römern in den Katakomben versteckten, kratzten sie Bilder von Bienen in die Mauern. Als Zeichen dafür, dass sie nach dem Tode auferstehen würden.«
Ich schob meine Hände unter die Oberschenkel und setzte mich auf. Was waren wohl Katakomben?
»Glaubst du, es wird May helfen, in den Himmel zu kommen, wenn wir schwarze Tücher über die Stöcke tun?«, fragte ich.
»Große Güte, nein«, sagte Augusta. »Die Tücher sind für uns. Sie sollen uns daran erinnern, dass das Leben unweigerlich zum Tode führt und dass der Tod wiederum sich in Leben verwandelt.«
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah hinauf in den
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