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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Quelle zur Priesterin der Großen Göttin geweiht worden. Seit dieser Nacht verkörperte sie in den Augen der Dorfbewohner die jugendliche Erscheinungsform der Dreifachen Gottheit; Kigva versinnbildlichte deren mütterliche Natur, und die bereits betagte Arawn hütete nun anstelle Penardduns das Wissen um das wahre Wesen des Todes und seine immerwährende Umwandlung zu neuem Leben im ewig gebärenden Schoß Ceridwens.
    Seit beinahe vier Jahren erfüllte Branwyn jetzt bereits ihre Aufgaben im Dienst der Göttin, und jeder einzelne Tag hatte ihr tiefe Befriedigung gebracht. Darüber hinaus konnte sie so ihrer Pflegemutter Kigva die Liebe vergelten, welche die Frau mit dem runden, gutmütigen Gesicht ihr fast zwei Jahrzehnte lang geschenkt hatte; ähnliches galt für Arawn, die im Lauf der Zeit wie eine Großmutter für sie geworden war. Zudem besaß sie in beiden gute, zutiefst vertraute Freundinnen; sie hatten es tausendfach bewiesen – zum Beispiel im vorletzten Frühling, als sich Branwyn in Dafydd verliebt hatte.
    Wie jede junge Frau, die ihrer ersten großen Liebe begegnet, fühlte sich damals auch Branwyn zwischen kaum noch bezähmbarer Sehnsucht und verwirrter Scheu hin und her gerissen. Zu allem Überfluß wirkte Dafydd manchmal richtiggehend verstört, wenn sie nur in seine Nähe kam, und womöglich hätte sie den entscheidenden Schritt, der somit notwendigerweise von ihr ausgehen mußte, nie gewagt, wenn Kigva und Arawn ihr nicht Mut gemacht hätten. So aber schaffte sie es schließlich, das einzig Richtige zu tun und dem großen, dunkelhaarigen Burschen mit den tiefblauen Augen beim Beltanefest unmißverständlich klarzumachen, was sie für ihn empfand. So hatte es begonnen, und seitdem durfte Branwyn das Glück des Zusammenseins mit Dafydd, das ihr als Hüterin der Heiligen Quelle keineswegs verboten war, genießen …
    ***
    In der Erinnerung an die Zärtlichkeiten, die sie auch heute wieder ausgetauscht hatten, lächelte Branwyn verträumt. Sie kuschelte sich tiefer unter die Schafwolldecke auf der Liegebank im Rundhaus, wo jetzt nur noch ein letzter Glutkern des Torffeuers glimmte. Dann dachte sie daran, daß sie Dafydd morgen wiedersehen würde, doch zuvor würde sie das Erscheinen der Gottheiten Arianrhod und Lug über der Heiligen Quelle erleben: über dem Nabel der Ynys Vytrin, die zuweilen zur Brücke hinüber nach Annwn werden konnte …
    Als ihr das durch den Kopf ging, fiel ihr wiederum die beklemmende Schauung ein, die sie an diesem Nachmittag auf dem Kap gehabt hatte: die Finsternis, die jäh aus dem andersweltlichen Leuchten um das schwebende Eiland hervorgebrochen war; dazu die bedrohlichen Schemen. Und jetzt auf einmal glaubte sie, sich die Erscheinung erklären zu können. Das furchteinflößende Bild mußte aus ihrem Unterbewußtsein gekommen sein; aus jenem dunklen Bereich, wo die verschollene Erinnerung an ihre früheste Kindheit begraben lag. Vielleicht ist es geschehen, weil Dafydd nach Aberdaron ging, wohin Kigva mich brachte, nachdem sie mich in der Wildnis aufgefunden hatte, überlegte sie. Wahrscheinlich suchten mich meine damaligen Ängste deshalb noch einmal heim. Nun aber habe ich es mir bewußt gemacht und werde Frieden haben …
    Mit diesem Gedanken schlief sie ein – und tatsächlich blieb ihr Schlummer friedlich und wurde von keinem Alptraum gestört.

Die Heilige Quelle
    Geraume Zeit vor Morgengrauen spürte Branwyn eine leichte Berührung an der Schulter. Als sie die Augen öffnete, erkannte sie Arawn, die einen brennenden Kienspan in der Hand hielt und nun leise flüsterte: »Du mußt aufstehen …«
    Die magische Zusammenkunft von Arianrhod und Lug über dem Born der Göttin! Der Gedanke bewirkte, daß die junge Frau im Nu auf den Beinen war. Sie schüttelte ihr langes Haar, das im Feuerschein kastanienfarben glänzte, über die Schultern und lief nach draußen. Mit beiden Händen schöpfte sie Wasser aus dem hohen, bauchigen Tongefäß, das gleich neben der Tür unter der Dachtraufe stand. Sie spülte ihren Mund und wusch sich; unmittelbar darauf kam auch Kigva und erfrischte sich auf dieselbe Weise wie ihre Pflegetochter. Danach gingen beide zurück ins Rundhaus und schlüpften in ihre Kleider. Da der Meerwind zu dieser frühen Stunde heftig in den Ästen der Eibe wühlte und empfindlich kühl war, warfen sie sich zusätzlich ihre Plaids über. Auch Arawn trug mittlerweile einen aus gefärbter Schafwolle gewebten und mit Karomustern verzierten Umhang und

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