Die Bischöfin von Rom
drängte ihre Gefährtinnen jetzt zu raschem Aufbruch.
Die Heilige Quelle lag ein beträchtliches Stück außerhalb des Dorfes. Die drei Frauen, von denen nun jede eine Fackel in der Hand trug, durchquerten die Ansiedlung, wo noch tiefe Stille herrschte. Jenseits des letzten Hauses begann der Weg, der sich zunächst ein Stück in Richtung des Walbuckels der Insel schlängelte und sich nach einer Weile gabelte. Arawn, Kigva und Branwyn bogen links ab; bald wurde der Pfad so schmal wie ein Wildwechsel und mündete schließlich in eine Kluft, die tief ins Gestein der Ynys Vytrin gekerbt war. Zwischen den Trümmern auf dem Grund der Klamm rieselte ein Rinnsal; die Frauen folgten ihm bergan, bis sie einen Felskessel erreichten. Direkt vor dem Zugang ragten, auf einer Erdschwelle in gleichen Abständen nebeneinander angeordnet, drei mannshohe Menhire auf. Sie waren aus Blaustein gemeißelt, der auf der Insel nicht vorkam, sondern vor Urzeiten vom Festland herübergebracht worden war, und dienten als Wächter am Born der Göttin.
Zusätzlich zum Feuerbrand hatte Branwyn ihren Tragesack bei sich. Jetzt nahm sie ihn von der Schulter und holte die Tontöpfe mit den Erd- und Pflanzenfarben sowie die Holzspateln heraus. Einen Behälter behielt sie selbst, die beiden anderen reichte sie Kigva und Arawn, dann begannen die Frauen jeweils eine der Steinsetzungen zu bemalen. Branwyn färbte den oberen Teil des ganz links stehenden Menhirs weiß ein, auf den mittleren strich Kigva rote Paste, Arawn wiederum benutzte für ihren schwarze Farbe. Und jede richtete dabei in ihrem Herzen ein Gebet an die Dreifache Göttin: Branwyn an die hell strahlende jugendliche Erscheinungsform Ceridwens, Kigva an ihre von warmem, rotem Leben erfüllte Mütterlichkeit und Arawn an die geheimnisvollste Verkörperung der Gottheit im dunklen Bereich von Tod und Wiedergeburt.
Im gleichen Moment, da sie fertig waren, kündigte sich der erste, kaum greifbare Schein der Dämmerung an. Die drei Frauen lösten ihre Gedanken von den Hohen Steinen, gingen still weiter und betraten den Felskessel, in dessen Oval sich die von Haselsträuchern und Birken umgebene Heilige Quelle befand. Sie sprudelte aus einer Spalte im Schiefer und sammelte sich in einem Steinbecken darunter; aus dem Überlauf entsprang das Rinnsal, dem die Hüterinnen des Borns durch die Kluft gefolgt waren. Das rieselnde Wasser spiegelte den Schein der Fackeln wider, ehe diese eine nach der anderen gelöscht wurden. In fast noch undurchdringlicher Dunkelheit knieten Branwyn, Kigva und Arawn nun vor dem Quellbecken; geduldig erwarteten sie den vollen Anbruch des Morgengrauens.
Allmählich verstärkte sich der Dämmerschein am Firmament; dann – im Augenblick, da Arawn flüsterte: »Arianrhod enthüllt ihr Antlitz!« – zeigte sich, direkt über der Heiligen Quelle, eine silbrige Lichterscheinung am Himmel. Der vorgewölbte Teil der Mondsichel hatte sich in die Kerbe eines Felsgrats hoch über den Köpfen der Frauen geschoben; wiederum eine Weile später war die gekrümmte Silhouette des Nachtgestirns ganz über die Schroffe gewachsen. Gleich einem filigranen Diadem stand sie über dem grauschwarzen Gestein am immer noch beinahe nächtlichen Firmament – bis dieses unvermittelt aufglühte und von der gegenüberliegenden, östlichen Abbruchkante der Schluchtwand ein goldenes Leuchten heranschoß. »Der lichte Pfeil Lugs!« raunte Arawn; ebenso wie die beiden anderen Frauen beobachtete sie gebannt, wie das silberne Flimmern des Mondes sich mit dem ersten Sonnenstrahl des neuen Tages paarte.
Das seltene Naturschauspiel zwischen den schieferfarbenen Graten der Kluft dauerte freilich nur kurz an. Kaum stieg die Sonne ein wenig höher, verblaßte die Mondsichel am nunmehr rauchblauen Firmament, um sich endlich ganz aufzulösen. Im Born der Göttin jedoch, über dem nach wie vor die Schleier der Dämmerung webten, blieb das filigrane Diadem noch geraume Zeit sichtbar. Und dies war für die Hüterinnen der Quelle das Sinnbild dafür, daß Arianrhod nicht wirklich verschwunden, sondern lediglich in die Anderswelt eingetaucht war.
»In Annwn erneuert das Silberne Rad seine Kraft«, sagte Arawn leise. »Es rollt jetzt dort hinüber auf jener Brücke, die Ceridwen schlägt: auf dem Heiligen Steg, der den Abgrund zwischen Vergehen und Werden überspannt. Wir aber wollen der Dreifachen Göttin, der wir dienen, nun unseren Dank für alles aussprechen, was sie für das Leben hier auf Erden und draußen
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