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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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hatten, ihren Dank abzustatten.
    Am folgenden Vormittag dann gab ihnen Haimo zum Abschied ein Stück weit das Geleit. Erst als sie das Wildbachtal hinter sich hatten, wo fast eineinhalb Monate zuvor die Franken über den Kaufmannszug hergefallen waren, kehrte er um, und von da an waren die Sibylle und Branwyn auf sich allein angewiesen. Da Samira den Weg jedoch schon mehrmals zurückgelegt hatte und die Esel sich als gutmütig und zuverlässig erwiesen, kamen sie auch weiterhin gut voran.
    Während der beiden ersten Reisetage begegneten sie keinem Menschen und mußten jeweils rechtzeitig vor Sonnenuntergang einen geeigneten Lagerplatz suchen. In dem winzigen Zelt, das die Sibylle mit sich führte, kuschelten sie sich eng aneinander und überstanden so die Nächte, die schon empfindlich kühl waren. Am dritten Abend stießen sie wieder auf eine Ansiedlung, wo sie unter einem festen Dach schlafen konnten, und während der darauffolgenden Woche fanden sie noch zweimal Unterkunft in einem Bauernhaus.
    Das letzte Bergbauerndorf, in dem sie übernachteten, lag bereits in den östlichen Ausläufern der Grajischen Alpen. Als sie dort ankamen, durften sie sich sagen, daß sie das Schlimmste hinter sich hatten. »Die Göttin hielt ihre Hand über uns«, erklärte Samira an diesem Abend, nachdem sie sich in ihrer Kammer zu Bett begeben hatten. »Und sie wird uns auch weiterhin beschützen, wenn wir nun zur Stadt Augusta Taurinorum hinabsteigen.«
    »Wann werden wir sie erreichen?« wollte Branwyn wissen.
    »In längstens drei Tagen«, antwortete Samira. »Von dort bis zu meiner Höhle nahe des Bolsena-Sees in Etrurien haben wir dann noch etwa einen Reisemonat vor uns. Das bedeutet, daß wir Mitte Dezember ankommen werden und du bis Jahresende in Rom sein kannst, sofern du es nicht vorziehst, zuvor eine Weile bei mir zu bleiben und dich nach den Strapazen der langen Wanderung zu erholen.«
    »Natürlich würde ich das gerne tun«, erwiderte Branwyn. »Aber andererseits drängt es mich, meine Mission in der Tiberstadt so bald wie möglich in Angriff zu nehmen.«
    »Ich weiß ja«, entgegnete die Sibylle verständnisvoll. »Doch ehe du dich entscheiden mußt, sind uns auf jeden Fall noch mehrere gemeinsame Wochen vergönnt.«
    Wenig später waren sie beide eingeschlafen; als sie am nächsten Morgen die Esel sattelten, bemerkten sie, daß die von Osten heranstreichende Luft beinahe so mild war wie im Frühling. »Der warme Wind zieht von der Poebene herauf«, erläuterte Samira, »und wir werden infolgedessen einen sehr angenehmen Weiterritt genießen dürfen.«
    Das Wetter blieb gut, bis sie schließlich am dritten Nachmittag Augusta Taurinorum erblickten. Mit einem erstaunten Ausruf zügelte Branwyn ihr Lasttier; Lutetia ausgenommen, hatte sie noch nie zuvor eine dermaßen beeindruckende Stadt gesehen. Die wuchtigen grauen Mauern umschlossen in strengem Geviert ein riesiges Areal; es gab gewaltige Torbauten und trutzige Türme, und über das Häusermeer dahinter ragten die hohen Giebel zahlreicher Paläste und Tempel empor.
    Die Sibylle wartete ab, bis ihre Gefährtin das imposante Bild in sich aufgenommen hatte, dann erzählte sie Branwyn von der Geschichte der norditalienischen Metropole: »In den alten Zeiten gehörte alles Land hier dem keltischen Volk der Tauriner. Sie waren es, welche die Stadt erbauten und sie Taurasia nannten. Das Oppidum war das eines der wichtigsten Handelszentren des Ager Gallicus, wie die Römer die damals von den Kelten besiedelte Poebene nannten, und es blühte generationenlang. Vor ungefähr dreihundertfünfzig Jahren aber, nachdem Rom mächtig genug geworden war, drangen die Legionen unter Kaiser Oktavian in den Norden vor, stürmten Taurasia, brannten es nieder und errichteten auf den keltischen Fundamenten ihre Militär- und Verwaltungsstadt Augusta Taurinorum.«
    »Der Weiße Drache, der in seiner Bösartigkeit wieder und wieder das friedliche Bemühen des Roten Drachen bekämpft«, flüsterte Branwyn, die eben noch so überwältigt vom Anblick der Metropole gewesen war. In ihrer Betroffenheit tastete sie nach der Hand ihrer Freundin; gleich darauf setzte sie mit festerer Stimme hinzu: »Doch irgendwann wird das vermeintlich Schwächere über die rohe Gewalt siegen, und dann wird das Antlitz der Welt sich verändern!«
    »Um dafür einzutreten, hat die Göttin dich nach Italien gesandt«, bekräftigte Samira.
    Schweigend ritten die beiden Frauen weiter, erreichten die Stadt und fanden

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