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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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eindrang, zu vermischen. Zunehmend hatte sie das Empfinden, als würde sie durch ein zutiefst feindliches Nichts hetzen, hinter dessen fahlweißer Gesichtslosigkeit der Tod lauerte: die lähmende Kälte, die immer tiefer in ihr Fleisch und ihr Gebein drang. Irgendwann, die Kranke hatte inzwischen jeglichen Zeitbegriff verloren, verwandelte sich das weiße Fegen in mattes Grau und scheinbar fast übergangslos in undurchdringliche Schwärze. Die Finsternis ließ Branwyn aufschrecken; nach einer Weile begriff sie, daß die keuchende Kreatur, an deren Mähne sie sich festkrallte, sie nun durch die Nacht trug.
    Die Dunkelheit, der sich jetzt noch verschärfende Frost und dazu das Fieber lösten kaum noch erträgliche Ängste in ihr aus. Mehr als einmal war sie in ihrer Panik versucht, sich von dem Seil, das sie an den Sattel fesselte, zu befreien und blindlings loszurennen, bis der Sturz in eine Schlucht sie erlöste. Doch etwas, das letztlich stets stärker blieb, brachte sie dazu, weiter und weiter durchzuhalten – bis mit einem Mal das Heulen des Schneesturmes nur noch gedämpft zu vernehmen war und der Esel stehenblieb.
    Im nächsten Moment war Samira bei ihr, schloß sie in die Arme und rief ihr zu: »Der Göttin sei Dank! Sie hat uns gerettet!«
    Unmittelbar nachdem sie die Worte vernommen hatte, verlor Branwyn das Bewußtsein. Sie bemerkte nicht mehr, wie die Sibylle sie zu einem Ruhelager im hinteren Teil ihrer Wohnhöhle brachte, ein Feuer entfachte und einen Kessel Wasser an den Schwenkarm über der Herdstelle hängte; ebensowenig bekam sie in ihrer abgrundtiefen Erschöpfung mit, wie Samira sie entkleidete, ihre Glieder massierte, sie in warme Decken hüllte und ihr sodann einen heißen, bitteren Trank einflößte.
    Es dauerte bis zum folgenden Nachmittag, ehe die Kranke wieder ansprechbar war und die Freundin, die ihr das Leben gerettet hatte, ihr eröffnen konnte: »Dein Fieber ist gesunken, und ich glaube, damit ist auch die Gefahr einer Lungenentzündung gebannt. Bevor du dich allerdings völlig erholt hast, werden noch einige Wochen vergehen.«
    »Heißt das, ich kann erst im Januar daran denken, nach Rom weiterzuwandern?« flüsterte Branwyn.
    Samira griff wie tröstend nach ihrer Hand, erst dann antwortete sie: »Es hat seit gestern ununterbrochen weitergeschneit, und es ist kein Ende abzusehen. Wenn aber der Winter so schnell und hart hereinbricht, bleiben die Wege hier im Gebirge erfahrungsgemäß bis zum Frühjahr unpassierbar. Du solltest dich infolgedessen darauf einstellen, einige Monate in meiner Grotte zu verbringen …«

 
Viertes Buch
Rom
Die Kirche der Frauen
    Frühjahr 357 bis September 363

 
Die Presbyterin
    Der von Norden heranmäandrierende Strom teilte die Stadt, die sich auf sieben flachen Hügeln ausbreitete, in zwei Hälften: ein riesiges Areal jenseits des östlichen und ein kleineres, wie ein Anhängsel wirkendes Viertel in einer Biegung des westlichen Ufers. Sechs Brücken überspannten den Fluß und schienen gleich Pfeilen auf das Zentrum der Metropole zu weisen.
    Dort stachen vor allem das gewaltige Rund des Kolosseums, das eindrucksvolle Oval des Circus Maximus, das wuchtige Geviert der Trajan-Thermen sowie die breite Front der einstigen Tempelanlage des Claudius Divinus ins Auge. Rings um diese und eine ganze Reihe weiterer Monumente – darunter der Kaiserpalast, die starke Festung auf dem Capitolhügel und unweit davon der ausgedehnte Platz des Forum Romanum – erstreckte sich ein schier unübersehbares Häusermeer, das von einer dreizehn Meilen langen Mauer mit einer Vielzahl von Türmen und zwei Dutzend Torbastionen umgrenzt wurde. Entlang der breiten Straßen, die auf die Tore zuliefen, waren Tausende aufwendig gestalteter Grabstätten bis hin zu pompösen Mausoleen zu erkennen. Einen ganz besonderen Akzent setzten schließlich die zehn Aquädukte, über deren elegante Bögen Wasser aus den nahen Bergen in die Zisternen und öffentlichen Bäder der Stadt geleitet wurde.
    Lange ließ Branwyn dieses Panorama auf sich wirken. Dank der Beschreibungen, die ihr Samira von Rom gegeben hatte, vermochte sie sich von ihrem Standpunkt am Rand eines Weinberges nahe des rechten Tiberufers recht gut zu orientieren. Der Anblick beeindruckte sie zutiefst; gleichzeitig fühlte sie sich aber angesichts der Hauptstadt des Weströmischen Reiches, in der nach Angaben der Sibylle eine Million Menschen lebten, eingeschüchtert. Dies war der Grund, warum Branwyn jetzt zögerte, das

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