Die Bischöfin von Rom
kleine Glasphiole in der Hand. Sie zog den Stöpsel ab und brachte die Öffnung des Behälters nahe an Branwyns Nase. Der stechende Geruch ließ sie husten, gleich darauf aber vermochte sie sich aufzurichten und wieder klarer zu denken.
Samira führte sie zu ihrem Reittier, das mit hängendem Kopf wartete, und war ihr behilflich, in den Sattel zu kommen. Danach holte sie ihre Zeltplane herbei, hüllte die Kranke darin ein und fragte: »Fühlst du dich imstande, weiterzureiten?«
»Ich muß die Kraft aufbringen!« flüsterte Branwyn. »Denn meine einzige Hoffnung besteht wahrscheinlich darin, deine Höhle zu erreichen, oder?!«
»Es gilt, um jeden Preis bis dorthin durchhalten!« bekräftigte ihre Gefährtin. Leiser fügte sie hinzu: »Vorher werden wir nämlich auf keine menschliche Ansiedlung mehr stoßen …«
»Dann laß uns keine Zeit verlieren!« versetzte die Fiebernde tapfer und trieb ihren Esel wieder an.
Zunächst schaffte es Branwyn, ihr Tier allein zu lenken. Doch in der Mitte des Nachmittags, als das Gelände schwieriger und gleichzeitig der Wind noch rauher wurde, begann sie erneut zu taumeln. Samira sah sich gezwungen, abzusteigen und neben der Kranken herzugehen, um sie zu stützen; zusätzlich mußte sie beide Esel führen. Während sie sich auf diese Weise vorankämpften, wurde die Sibylle von der Befürchtung gequält, daß sich aus der schweren Erkältung eine Lungenentzündung entwickeln könnte, wenn Branwyn nicht bald ins Warme kam. Aber als es Zeit wurde, ein Nachtlager zu errichten, konnte sie lediglich das dünne Zelt aufbauen und davor ein Feuer entfachen. Später, während heftige Böen an der Leinwand zerrten, wärmte sie die Fieberkranke mit ihrem eigenen Körper, fühlte die Qual ihrer immer wieder vom Schüttelfrost gebeutelten Freundin und wünschte sich inständig, sie besäße noch Medizinkräuter – doch sie hatte ihren Vorrat während der Behandlung Branwyns in dem Alpendorf restlos verbraucht.
Im ersten Morgenlicht setzten die Frauen ihren Weg fort. Während der ersten Stunden ertrug die Kranke die Anstrengung des Reitens, dann war sie abermals so erschöpft, daß sie jeden Moment den Halt im Sattel zu verlieren drohte. Mühsam hielt sie ihr Tier an und bat ihre Gefährtin, sie auf dem Eselsrücken festzubinden. Weil angesichts der beißenden Kälte höchste Eile geboten war, stimmte Samira zu; wenig später trabten sie weiter, und die Sibylle führte das zweite Reittier jetzt am langen Zügel hinter sich her. Jedes Mal, wenn sie sich umwandte, empfand sie tiefstes Mitleid mit Branwyn; dennoch durfte sie die Freundin nicht schonen, sondern mußte alles daransetzen, ihr eine weitere Nacht im Freien zu ersparen.
Tatsächlich kamen sie nun so rasch voran, daß Aussicht bestand, die Wohnhöhle noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Am Nachmittag, als die niedriger werdenden Bergketten gelegentlich den Blick nach Südosten freigaben, war am Horizont bereits die graublaue Fläche des Bolsena-Sees zu erkennen. Doch plötzlich trübte sich die Sicht, der ohnehin verhangene Himmel nahm eine bedrohliche schwarze Färbung an; gleich darauf brach ein verheerender Schneesturm los.
Verschreckt blieben die Esel stehen und drängten sich schutzsuchend aneinander. Samira mußte abspringen und die Tiere am Zaumzeug packen, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Sie taten ein paar Dutzend Schritte; unvermittelt aber, weil ein Hagel von Eisnadeln sie traf, scheuten sie, galoppierten zu einer Felsgruppe, wo das Unwetter nicht ganz so schlimm wütete, und stellten sich mit den Kruppen gegen den Wind. Branwyn fürchtete, die Reitesel würden jetzt um keinen Preis der Welt mehr vorwärtszubringen sein; dann sah sie, wie Samira einen Fetzen von ihrem Rocksaum riß, ihn in zwei Streifen teilte und den Tieren damit die Augen verband.
»Wenn sie das nicht zur Vernunft bringt, sind wir verloren!« rief die Sibylle ihrer Gefährtin zu, zerrte erneut an den Zügeln – und hatte Erfolg. Die jetzt orientierungslosen Esel gehorchten ihr instinktiv und liefen zurück auf den Pfad; damit jedoch begann der eigentliche Kampf gegen das Schneetreiben und den Frost erst: ein Kampf, der sich zu einer entsetzlichen Tortur auswachsen sollte.
Anfangs, während Samira die Reittiere an den Halftern hinter sich herzog, vermochte Branwyn ihre Umgebung noch einigermaßen wahrzunehmen. Aber bald tanzten erneut feurige Funken vor ihren Augen und schienen sich mit dem eisigen Wirbeln, das von allen Seiten auf sie
Weitere Kostenlose Bücher