Die Bischöfin von Rom
pflanzliche Arznei bis auf den letzten Krümel verbraucht war, erfolgte der Rückfall um so heftiger.
In ihrer schweren Krise, die um Mitternacht einsetzte, delirierte Branwyn; sie keuchte, schlug um sich und wurde ganz offensichtlich von grauenhaften Wahnvorstellungen gequält. Bis zur Morgendämmerung wand sie sich auf ihrem Lager und schien gegen unsichtbare Feinde zu kämpfen; kaum fiel das erste fahle Licht durch die Fenster, erstarrte sie und blieb in tiefer Bewußtlosigkeit liegen.
Der Jäger und Hulda waren völlig ratlos; ebenso erging es denjenigen Dorfbewohnern, die untertags ins Haus kamen, um einen scheuen Blick auf die Fremde zu werfen. Manche äußerten den Verdacht, die junge Frau könnte von Dämonen besessen sein; andere empfanden grenzenloses Mitleid, aber niemand konnte der Fiebernden, deren Körper jetzt förmlich glühte, auf irgendeine Weise helfen. Die kalten Umschläge der Greisin brachten keinerlei Linderung; genausowenig fruchteten die Gebete und Beschwörungen, die einer der Getauften der Ansiedlung an ihrem Lager sprach.
Als es erneut Abend wurde, lag Branwyn noch immer besinnungslos und wie im Starrkrampf da; auch mit dem neuen Sonnenaufgang änderte sich nichts daran – und allgemein rechnete man im Dorf jetzt mit ihrem baldigen Sterben.
***
Wellen, die wie undurchdringliche Schwärze und strahlendes Leuchten gleichermaßen waren, trugen die junge Frau dorthin, wo das Reich von Annwn begann. Lähmende Kälte und wirbelnde Glut schlugen ihr entgegen, Tod und Leben kämpften gegeneinander; dann, während beide Elemente sich verflochten und in ihrer Gemeinsamkeit zu kühlender Wärme wurden, wußte Branwyn, daß sie im Begriff war, die Schwelle zu überschreiten, wo der Same der Wiedergeburt in die Auflösung eines verbrauchten Daseins gesät wurde. Müde wollte sie sich ergeben und sich hineinsaugen lassen in den Kreislauf der Ewigkeit; im nächsten Moment glaubte sie Pflanzenduft zu riechen: die zeitlose Aura eines jahrhundertealten, fremdartigen Baumes – und sah sich vor dem Heiligen Dorn auf der Ynys Avallach stehen.
Die Erinnerung an die andersweltliche Botschaft, die sie dort empfangen hatte, bewirkte, daß etwas in ihrem Innersten sich aufbäumte. Ihre Seele flehte die Göttin und zugleich den Geist des Juden mit dem barmherzigen Antlitz an, ihr beizustehen, damit sie dem Tod, gegen den sie sich nun wieder wehrte, zu entgehen und die ihr übertragene Aufgabe zu erfüllen vermochte. Sie meinte, eine lautlos hallende Antwort zu vernehmen; ebenso aber standen nun Kräfte gegen sie auf, welche die Worte der weiblich-männlichen Stimme auszulöschen versuchten. Einige gejagte Herzschläge lang war ihr, als würde sie die Gestalten zweier ringender Drachen erkennen: eines roten und eines weißen. Ohne zu zögern, warf sie sich mit ihrem ganzen Sein selbst in den Kampf – und entschied ihn.
Die Konturen des Weißen Drachen verwichen; Wärme, die jetzt unendlich behütend war, umhüllte ihren bebenden Leib. Aus dem sanften, rötlichen Strahlen heraus erfuhr sie die Berührung Ceridwens; die Hand der Göttin streichelte ihre Wange und schenkte ihr tiefen Frieden.
Sachte sank sie zurück ins Diesseits, öffnete die Lider und stellte erstaunt fest, daß sie in ein menschliches Gesicht blickte: das einer sehr schönen Frau, die ihr völlig fremd und trotzdem auf seltsame Weise vertraut war.
***
»Wer bist du?« Branwyns Mund war so ausgetrocknet und ihre Lippen so spröde, daß sie Mühe hatte, die Silben zu formen.
»Man nennt mich Samira«, lautete die Antwort. »Und ich bin wie du eine Vertraute der Großen Göttin.«
»Woher weißt du …?« kam es von der Kranken.
»Ich spürte es sofort, als ich dich sah«, entgegnete die ungefähr dreißigjährige Frau mit dem ebenmäßigen Antlitz, dem langen schwarzen Haar und den hellen graugrünen Augen, über deren Schläfen jeweils eine kleine, dreifach sich hebende und senkende Wellenlinie eintätowiert war. »Außerdem riefst du diejenige, der wir beide dienen und die in meiner Sprache als Hekate bezeichnet wird, vorhin mit ihrem keltischen Namen an.«
»Ich begegnete Ceridwen dort, wo die Welten sich berühren …« flüsterte Branwyn. »Mit einem Fuß befand ich mich bereits in Annwn … Aber dann führte die Göttin mich zurück …«
»Du standest an der Schwelle des Todes«, nickte Samira. »Auch jetzt bist du noch sehr schwach und darfst dich auf keinen Fall anstrengen. Laß uns also morgen weitersprechen; vorerst
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